Artikelformat

Alles richtig gemacht

Hinterlasse eine Antwort

Tag 16: Von Santa Cruz-de-Bezana nach Santillana del Mar (20 Kilometer)

Mit quietschenden Bremsen hält der Zug an dem kleinen, menschenleeren Bahnsteig. Menschenleer bis auf das Häuflein Pilger, das sich entschieden hat, die kurze Strecke von Poo de Pielagos bis Mogro auf Schienen zurückzulegen, statt den verbotenen Weg über die Eisenbahnbrücke zu nehmen. Wir steigen ein, und schon zuckelt die Bimmelbahn weiter. Ich schaue aus dem Fenster – ich will auf keinen Fall die ominöse, fast sagenumwobene Brücke verpassen. Der Zug lässt die letzten Häuser hinter sich und rattert durch eine schmucklose Landschaft.

Dann ist es soweit: In einer leichten Kurve steuert die Bahn auf das Stahlgewirr zu, das den Fluss Pas überspannt. Hundert Meter ist die Brücke lang; vernietete Stahlstreben rauschen am Fenster vorbei. Es dauert nur ein paar Sekunden, dann sind wir auf der anderen Seite. War es das wirklich wert, wegen dieser Passage 35 Minuten auf dem Bahnsteig in Poo zu warten? Kurz habe ich einen Blick auf den Fußweg neben den Gleisen erhaschen können: In der Tat ist es dort ziemlich eng, ein Pilger mit Rucksack wäre von einem vorbeifahrenden Zug ganz schön durchgeschüttelt worden. Ich glaube, ich habe alles richtig gemacht. Safety first – der Camino hält genügend andere Abenteuer bereit.

Nach einer guten Nacht bin ich gerade noch rechtzeitig zum Frühstück aufgewacht. José hat Berge von Toastbrot für die hungrige Pilgermeute geröstet, dazu gibt es Marmelade – und für mich einen leckeren Kräutertee. Vor dem Abmarsch habe ich noch ein wenig im Gästebuch geblättert, während die ersten Pilger aus der Tür entschwunden sind. Wahnsinn, wie viele begeisterte Kommentare die Gäste der Herberge in dem Buch hinterlassen haben – Nieves und José zeigen schon seit einigen Jahren ein großes Herz für den Jakobsweg.

Nach einer herzlichen Verabschiedung bin ich losgelaufen. Das Bein hat nur noch wenig Probleme gemacht; trotzdem bin ich die ersten Kilometer langsam angegangen. Kurz habe ich noch überlegt, ob ich nicht doch zu Fuß über die Eisenbahnbrücke laufen soll, doch als ich am Bahnhof von Poo de Pielagos vorbeigekommen bin, habe ich einige Pilger auf dem Bahnsteig sitzen sehen – und mich spontan angeschlossen. Dort habe ich auch Cindy wiedergesehen, die immer noch Schmerzen im Fuß hat und deshalb ein längeres Stück mit der Bahn fahren will.

Ein Franzose hat angesichts der Wartezeit von 35 Minuten beschlossen, den Weg über die Brücke zu nehmen – und ist zu unserer großen Verblüffung einfach über die Schienen weitergestapft, statt auf dem ausgeschilderten Jakobsweg zu laufen. Auch die Warnrufe einiger Pilger haben ihn nicht davon abhalten können.

Kurz darauf spuckt uns der Zug auf dem Bahnsteig von Mogro aus. Aus dem Führer weiß ich, dass zumindest die erste Hälfte der heutigen Etappe keine Delikatesse werden wird: Bei Polanco/Requejada gibt es ein Industriegebiet mit einer großen Chemiefabrik. Aus einem Internetblog stehen mir auch noch Bilder von endlosen roten Rohren vor Augen, die einen staubigen Weg flankieren. Wenn ich das hinter mich gebracht habe, werde ich mit Santillana belohnt, das sein mittelalterliches Stadtbild bewahrt hat und deshalb ein echtes Schmuckstück ist. Leider auch ein Touristennest, aber es ist ja noch keine Hauptsaison…

Hinter Mogro offeriert mir der Führer wieder zwei Wegalternativen: der offizielle Jakobsweg bietet anfangs „einen interessanten Blick auf den Meeresarm, der sich weit ins Land zieht“, ist aber fast drei Kilometer länger und führt zudem fast fünf Kilometer an der Pipeline der Chemiefabrik entlang. Ich entscheide mich für die direkte, nicht ausgeschilderte Variante und hoffe, so das Industriegebiet schneller hinter mir zu lassen. Zudem kann ich vielleicht in einem Laden etwas zu essen kaufen.

Der folgende Weg ist noch ein wenig beschwerlicher und unattraktiver als die Betonwüste vor Bilbao: Scheinbar endlos geht es auf dem Bürgersteig an einer Hauptstraße entlang durch mehrere Ortschaften, die alle ineinander übergehen. Ich treffe Nicolas wieder, gehe ein Stück mit ihm, bevor er sich zu einer Rast entschließt.

Kurz darauf lerne ich Bob aus London kennen. Kaum zu glauben, dass er schon 60 Jahre alt ist – der drahtige Engländer wirkt mindestens zehn Jahre jünger. Ich erzähle ihm, wo ich wohne. Zu meiner großen Überraschung kennt er sich in Deutschland sehr gut aus – auch das Autobahnkreuz unweit unseres Wohnorts ist ihm ein Begriff. Ob er schon oft in Deutschland gewesen sei, frage ich ihn – und erfahre dann, dass Bob bei einer Spedition die Lkw-Routen durch Europa koordiniert hat. Das deutsche Autobahnnetz kennt er also wie seine Westentasche – allerdings nur von der Landkarte.

Weil er keine sechs Wochen Urlaub bekam, um seine Tochter in Australien zu besuchen, hat er seinen Job gekündigt. Ein Jahr lang war er arbeitslos; als er aus Australien zurückkehrte, ist er den Camino Françes gelaufen. Jetzt hat er irgendwas mit Versicherungen zu tun, nimmt sich aber immer wieder Auszeiten, um unterwegs zu sein. Diesmal will er bis Oviedo gehen und dann auf den Camino Primitivo abbiegen, erzählt er – und entschwindet dann zum Frühstücken in eine Bar.

Ich habe auch Hunger und ziehe in Erwägung, ebenfalls in einer Bar ein Bocadillo zu essen. Das würde aber bedeuten, noch länger in dieser urbanen Einöde verbringen zu müssen, die ich ja eigentlich so schnell wie möglich hinter mir lassen möchte. Also gehe ich weiter – mit einem schlechten Gewissen, denn ich tue meinem Körper damit keinen Gefallen, auch wenn das Bein keinen Ärger mehr macht.

Mittlerweile brennt die Sonne vom Himmel, der Schweiß läuft in Strömen. Endlich erreiche ich das Werksgelände der Chemiefabrik Solvay. Schlote ragen in den Himmel, ein Gewirr von silbernen Rohren zieht sich von einem Fabrikgebäude zum nächsten. In der Ortschaft Barreda biege ich rechts ab; mit der Brücke über den Fluss Saja lasse ich schließlich das Industriegebiet hinter mir.

Mein Plan, in einem Laden etwas einzukaufen, ist bislang vom Kalender torpediert worden – es ist nämlich Sonntag, was mir mal wieder entfallen ist. Alle Geschäfte sind verrammelt. Gerade als ich überlege, doch in eine Bar einzukehren, um den Magen zu füllen, entdecke ich in Viveda in einer Kurve auf der rechten Seite eine Art Provinzkaufhaus. Innendrin sieht es aus wie auf einem Flohmarkt: Ohne erkennbare Ordnung finden sich dort Klamotten, Haushaltsgegenstände, Nippes und Stippes. Links in der Ecke gibt es eine kleine Lebensmittelabteilung.

Ich verbringe bestimmt 20 Minuten zwischen den Regalen, weil ich mich nicht entscheiden kann. Toll, denke ich, dann hätte ich mich doch in eine Bar setzen können, das hätte auch nicht länger gedauert. Schließlich greife ich doch wieder zu meinem mittlerweile bewährten Mittagsmenü und stelle mich an der Kasse an. Eine junge, gelangweilte Asiatin bedient mich – und mir wird klar, warum der ganze Laden mit roten, runden Papierlaternen à la Chinarestaurant ausstaffiert ist…

Draußen geht es noch ein Stück den Hügel hinauf, dann verlasse ich die viel befahrene Straße nach links auf ein Sträßchen in Richtung Camplengo. Jetzt heißt es einen guten Platz für ein Picknick finden. Vor allem windgeschützt soll er sein, denn ich bin ziemlich geschwitzt und will mich nicht beim Rasten erkälten. Die Straße führt bald aus Viveda hinaus und windet sich durch die hügelige Landschaft Santillana entgegen. Der rotgestrichene Fußgängerbereich neben der Fahrbahn ist zwar auch ein wenig monoton, aber kein Vergleich zur Betonpiste vom Vormittag.

An einem Gehöft macht die Straße einen Linksknick. Direkt vor mir sehe ich einen dieser Futtersilos aus Beton, davor eine kleine Grasfläche. Hier will ich über mein Mittagessen herfallen. Als ich näherkomme, entdecke ich zwar ein paar dornige Zweige, auch einige Wespen, aber ich will jetzt nicht mehr weitergehen, ohne etwas gegessen zu haben. Als ich mit vollen Backen kaue, nähert sich mir eine Katze.

Die Art, wie sie sich bewegt, macht mich misstrauisch: Sie sieht alles andere als schüchtern, sondern eher angriffslustig aus. Ob sie wohl Tollwut hat, frage ich mich und greife nach meinem Engelsgeschenk, dem Trekkingstock vom Hügel hinter Berría. Die Katze überlegt kurz, ob es sich lohnt, sich mit dem Stock anzulegen, um an mein Baguette zu kommen, trollt sich dann aber in Richtung des Gehöfts, wo sie ein veritables Hundegebell-Gewitter auslöst.

Als die letzten Krümel weggeputzt sind, mache ich mich auf die restlichen Kilometer bis Santillana – und denke darüber nach, einen Abstecher zu den Höhlen von Altamira zu machen. Laut Führer bezeichnen Fachleute die Höhle mit den 14.000 Jahre alten steinzeitlichen Malereien als die „Sixtinische Kapelle der prähistorischen Kunst“. Dass wegen der Besucherströme mittlerweile nicht mehr das Original, sondern eine Kopie der Malereien zu sehen ist, stört mich nicht sonderlich – blöd ist nur, dass das Museum sonntags fünf Stunden früher schließt als sonst. Und ob ich es schaffe, bis 15 Uhr die zwei zusätzlichen Kilometer zu den Höhlen zurückgelegt und dann auch noch ohne Hektik die Kunstwerke bewundert zu haben, bezweifele ich.

Ich passiere den Abzweig zu einer privaten Herberge vor den Toren von Santillana, gehe aber weiter, denn ich will unbedingt heute noch den mittelalterlichen Stadtkern bewundern – und wenn möglich auch in der kleinen, aber zentral gelegenen Herberge übernachten. Es geht weiter bergauf und bergab, dann durch Camplengo hindurch. Schließlich erreiche ich den Stadtrand von Santillana del Mar. Ich schaue auf die Uhr – die Höhle von Altamira werde ich mir schenken. Auf Hektik habe ich jetzt so gar keine Lust. Zudem zieht mich der Turm der Stiftskirche Santa Juliana geradezu magisch an: Wenn der Rest der Stadt genauso imposant ist wie dieses Gotteshaus, dann gibt es hier genug zu sehen.

Auf einem rustikalen Steinpflaster betrete ich Santillana – und lasse gleich darauf die Flip-Flops am Bauchgurt verschwinden. Ich weiß zwar nicht, ob das Pflaster noch original ist, aber im Mittelalter sind die Leute bestimmt auch barfuß hier entlang gelaufen. Hinter der Kirche weitet sich die Straße zu einem kleinen Platz. In der Mitte steht eine überdachte Waschstelle, aus der stilecht das Wasser über die Straße läuft. Es ist fast wie eine Zeitreise in die Vergangenheit, wären da nicht die zahlreichen Werbeschilder, auf denen Restaurants, Spezialitätengeschäfte und Souvenirläden ganz und gar nicht mittelalterlich ihre Waren und Erzeugnisse anpreisen.

Ich habe gerade mal ein paar Bilder gemacht, da entscheidet der Himmel, dass es erst einmal reicht mit dem Fotografieren – es beginnt zu nieseln. An einer Hausecke treffe ich zu meiner großen Freude Kyle, Rainer, Cindy und auch Moira. Sie sind einige Zeit vor mir eingetroffen, haben einen Rundgang durch die Stadt gemacht und beschlossen, bis Cobreces weiterzugehen. Santillana ist ihnen eindeutig zu touristisch. Ich dagegen kann mit den wenigen Touristen leben, die durch die Straßen flanieren – ich will nicht wissen, was hier im Juli und August los ist.

Ich verabschiede mich von den anderen Pilgern und suche den Eingang zur Herberge. Er ist ein wenig versteckt, erst eine Muschel an einem schmiedeeisernen Tor führt mich auf die richtige Fährte. Ich gehe durch den parkähnlichen Garten eines Museums bis zu einem Holztor am Ende des Grundstücks und betrete einen geschotterten Innenhof. Die Herberge ist noch geschlossen, doch unter einem Vordach haben es sich schon einige Pilger auf Plastikstühlen bequem gemacht. Ich sehe Nora, Vicky, den Franzosen (der offensichtlich nicht auf der Brücke bei Mogro von einem Zug überrollt worden ist) und Nicolas.

Es dauert noch eine Weile, bis die Herberge öffnet, aber wenn ich eines der nur 16 Betten haben möchte, muss ich wohl warten. „Die Herberge ist wegen ihrer besonderen Lage oft belegt“, warnt mich der Führer. Also setze ich mich in einen Plastikstuhl und schreibe ein wenig in mein Tagebuch. Mehr als einmal muss ich vor dem April-Wetter unter das Dach flüchten, dann rufen mich Sonnenstrahlen wieder heraus auf den Innenhof. Weitere Pilger treffen ein, darunter Bob, der Engländer, und eine Frau aus Argentinien, die ebenso drahtig ist wie er.

Schließlich erscheint ein Polizist an der Tür, schließt die Herberge auf und übernimmt den Check-in. Ich belege mein Bett, und nach den obligatorischen Wasserspielen ziehe ich los, die Stadt anschauen. Die Sonne ist wieder mein Freund. Es ist beeindruckend, wie gut sich das mittelalterliche Stadtbild erhalten hat – sicher wegen gehöriger Denkmalschutz-Auflagen. Zunächst gehe ich zur Stiftskirche, verzichte aber darauf, das Gebäude aus dem 12. Jahrhundert zu betreten – für eine Kirche Eintritt zu bezahlen, widerspricht meinen Prinzipien, auch wenn es nur 3 Euro sind. Auf Nachfrage erfahre ich, dass heute um 20 Uhr eine Abendmesse stattfindet.

Auf meinem Rundgang durch die Stadt staune ich über die zahlreichen gut erhaltenen Adelspaläste. In manche geöffnete Tür kann ich sogar einen Blick hineinwerfen und die beeindruckende Innenarchitektur bewundern. Überall sind Restaurants und Hotels, aber gerade die Bettenburgen sind wirklich gut ins Stadtbild integriert. Schade nur, dass die Stadt nicht komplett autofrei ist – die Touristen dürfen mit ihren Karossen bis vor die Haustür fahren, um das Gepäck auszuladen, was das Zeitreise-Feeling ein wenig zerstört.

In einem kleinen Supermarkt in einer Nebenstraße besorge ich etwas zu Beißen sowie Cerveza und kehre zur Herberge zurück. Im Innenhof hat sich an einem großen Tisch bei Vino tinto mittlerweile eine gesellige Runde eingefunden. Ich lerne ein Ärztepärchen aus Ulm kennen. Es ist ihr erster Caminotag, sie sind heute von Santander bis nach Santillana gelaufen – 40 Kilometer. Sie hat sich zu meinem Amüsement den Camino-Führer in der Stadtbibliothek ausgeliehen. Wie sie den denn unbeschadet zurückbringen wolle, frage ich sie – und denke daran, wie ramponiert mein gutes Stück trotz pfleglicher Behandlung schon ausschaut.

Am Tisch wird Französisch gesprochen, was nicht daran liegt, dass die Franzosen in der Überzahl sind; es ist eher der Tatsache geschuldet, dass der Franzose außer seiner Heimatsprache keine weitere Fremdsprache beherrscht – und auch noch stolz darauf ist. Ich werde nie verstehen, warum manche Bewohner unseres westlichen Nachbarlandes in Sachen Fremdsprachen so engstirnig sein können. Ich verfolge interessiert die Unterhaltung, die sich unter anderem um biologisch erzeugte Lebensmittel und die schädlichen Folgen modernen Milchkonsums dreht.

Schließlich ist es Zeit, in die Messe zu gehen. Zu meiner Überraschung schließt sich mir Nora an. Gemeinsam gehen wir zum Hauptportal der Stiftskirche, das nur wenige Schritte von der Herberge entfernt ist. Auf dem Platz vor der Kirche haben sich schon zahlreiche Messbesucher eingefunden und warten. Vor der Tür haben sich zwei Polizisten aufgebaut. Als wir nähertreten, weist uns einer der beiden mit finsterer Miene ab: Die Kirche sei nicht mehr für Touristen geöffnet. „Aber ich will doch in die Messe“, entgegne ich – und ernte einen skeptischen Blick, als sei ich eine Art kultureller Zechpreller…

Dann trifft der Pfarrer ein. Der weißhaarige, charismatische Herr trägt zu meiner großen Überraschung und Freude eine Soutane. Ich frage mich, ob er das aus Überzeugung tut oder ob das nur eine Art Touristen-Folklore ist. Wir betreten das Gotteshaus und suchen uns einen Platz in einer Bank vorne links.

Von der ziemlich langen Predigt verstehe ich zwar kein einziges Wort, aber ich spüre: dieser Priester hat etwas zu sagen, er spult nicht nur gewohnheitsmäßig sein Pensum ab, wie ich es zuvor leider einige Male erleben musste.

Als die Messe zu Ende ist, leert sich das Gotteshaus schlagartig. Ich bleibe noch ein wenig, ich fühle mich Gott so nah. Doch das ebenso energische wie ungeduldige Rasseln eines Schlüsselbundes verkündet mir, dass sich der Polizist nun als Rausschmeißer betätigt. Warum er es so eilig hat, verstehe ich später, als ich ihn in einer Bar vor dem Fernseher entdecke – das EM-Qualifikationsspiel der Spanier hat begonnen.

An der Herberge treffe ich Bob und die Argentinierin sowie Nicolas. Wir beschließen, gemeinsam essen zu gehen. Gerne hätte ich in einem lauschigen Restaurant ein Pilgermenü ge- nossen, doch Bob hat schon eine Bar ausgekundschaftet: Direkt neben der Herberge gibt es nämlich Spareribs vom Grill, und die haben auf ihn offenbar eine magische Anziehungskraft. Wir nehmen in der Bar Platz. Das Essen kommt schnell, ist preiswert, aber nicht besonders gut. Auch das Gespräch kommt nur langsam in Gang, denn die Argentinierin kann kein Englisch. Also übersetzt Bob immer wieder ihre spanischen Sätze.

Ich erfahre, dass die Argentinierin schon 52 Jahre alt ist. Ich hätte sie zehn Jahre jünger geschätzt. Offenbar hat sie ihr Beruf jung gehalten: sie arbeitet nämlich als Fitness-Trainerin in Verona. Vor 26 Jahren zog sie der Liebe wegen aus ihrer argentinischen Heimat nach Italien um – ohne ein einziges Wort Italienisch zu können. Sie war schon einige Male auf dem Camino unterwegs. Die Fitness-Trainerin läuft rund 40 Kilometer am Tag und will in gut zwei Wochen in Santiago sein. Anschließend fliegt sie zum Trekking nach Chile…

Als wir in die Herberge kommen, schlafen die meisten Pilger schon. Ich bin noch nicht müde und inspiziere deshalb das gut gefüllte Bücherregal neben der Eingangstür. Ein einziges deutsches Buch finde ich dort – ein bayerischer Krimi. Ich fange an zu lesen – und bin sofort gefesselt von der Handlung. Auf zwei Stühlen – einen für den Hintern, einen für die Füße – sauge ich den Inhalt auf und bin ruck-zuck auf Seite 80. Dann aber wird es doch Zeit, ins Bett zu gehen, um genug Kraft für den morgigen Tag zu tanken.

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte

 

 

Veröffentlicht von

Hi, ich bin descalces. Seit 20 Jahren weitgehend barfuß unterwegs - so oft es geht, auch auf dem Jakobsweg...

Schreibe eine Antwort

Pflichtfelder sind mit * markiert.