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Das schmeckt nach Meer

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Tag 17: Von Santillana del Mar nach Comillas (23 Kilometer)

Wo ist denn nur das Vieh? Neugierig recke ich meinen Hals und schaue über den Zaun. Das Gelände dahinter ist kräftig zerfurcht. Es sieht schwer nach Tierhaltung aus – und passt so gar nicht zum Erscheinungsbild des Restaurants am Ortseingang von Arroyo. Laut meinem Führer soll hier das zahme Hängebauchschwein Panchita zu Hause sein. Das Tier ist sowas wie eine Pilgerattraktion – und wenn ich schon mal hier bin, dann kann es sich wenigstens mal zeigen. Ich lasse weiter meinen Blick über das Gelände schweifen – und entdecke plötzlich das Schwein. In den Schatten hat es sich verkrochen. Eine gute Entscheidung, schließlich ist es heute morgen schon reichlich warm. Kurz warte ich, ob das Hängebauchschwein vielleicht mal an den Zaun getrottet kommt, um dem Pilger aus Deutschland Hallo zu sagen, doch Panchita tut mir nicht den Gefallen.

Wieder einmal bin ich praktisch der Letzte in der Herberge gewesen, als ich gegen 8.30 Uhr aufgewacht bin. Nur Nicolas hat einen ähnlich gesegneten Schlaf. Ich habe meine Sachen gepackt und dabei festgestellt, dass der Arzt aus Ulm sein Credential im Spind hat liegenlassen. Kurz habe ich überlegt, ob ich den Pilgerausweis mitnehmen soll, mich dann aber dagegen entschieden: Wer weiß, ob ich sie wiedersehe…

Panchita chillt immer noch, also schnappe ich meinen Rucksack und gehe weiter. Die Landschaft ist ganz hübsch, der schmale Weg ist von bruchsteingesäumten Weiden umgeben. Ich durchquere die Ortschaft Oreña und sehe dann die Kirche San Pedro auf einem Hügel liegen. Das imposante Bauwerk will ich mir auf jeden Fall anschauen. Es geht einen Kilometer bergauf, dann stehe ich auf dem Parkplatz vor dem Gotteshaus. Dahinter sehe ich zum ersten Mal seit Tagen wieder das Meer. Die Kirche ist natürlich verrammelt. Ich gehe barfuß einmal um die Kirche herum und lasse die Kamera im iPhone heißlaufen, dann geht es weiter.

Bald darauf erreiche ich den nächsten Ort. Laut Führer trägt er den Namen Caborredondo. Ich betrete die Hauptstraße und muss bald darauf wieder kräftig bergauf. Am Ortsausgang stutze ich: ein Schild verkündet mir, dass ich gerade Oreña verlasse. Habe ich mich denn schon wieder verlaufen? Ein wenig ratlos gehe ich hin und her und halte nach gelben Pfeilen Ausschau – doch es sind weit und breit keine zu sehen.

Ich kehre um und gehe den Berg hinab. Ein älteres Pilgerpaar kommt mir entgegen – die beiden schauen mich fragend an. Ich rufe ihnen zu, dass ich nicht glaube, noch auf dem richtigen Weg zu sein, und gehe weiter – vielleicht kann ich in der Ortsmitte jemanden fragen. Doch das ist gar nicht so leicht, denn es ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Endlich treffe ich zwei ältere Frauen und zeige ihnen die Karte im Buch. Wo ist denn bin, will ich von ihnen wissen. Eine der Seniorinnen zeigt auf Caborredondo. Ich versuche mit meinem rudimentären Spanisch zu erklären, dass auf dem Ortsschild ein anderer Name steht. Des Rätsels Lösung: beide Ortschaften gehören zu einer Großgemeinde, die Oreña heißt. Also stapfe ich zum zweiten Mal den Berg hinauf. Nur ein paar Meter hinter der Stelle, an der ich umgekehrt bin, finde ich einen gelben Pfeil. Ich war wieder mal zu ungeduldig…

Auf dem weiteren Weg wird die Landschaft noch lieblicher. Ich erreiche den nächsten Ort: Cigüenza erinnert mich an Liendo, denn auch hier gibt es zahlreiche Adelspaläste, die allerdings fast alle dem Verfall preisgegeben sind. Ich erreiche die Kirche San Martín, ein prachtvoller Bau, der ein wenig verlassen am Wegesrand herumsteht. Die Kirche ist – unnötig zu erwähnen – geschlossen. Gegenüber steht ein Gebäude, das vor vielleicht 100 Jahren mal eine Luxusvilla gewesen sein muss: Ein schickes Häuschen mit einem Turm an der Seite. An der Einfahrt ist ein Seil gespannt, ein Schild verbietet das Betreten des Geländes. Das gilt offensichtlich nicht für die Kühe, die auf dem Areal grasen – wahrscheinlich können sie nicht lesen.

Es juckt mich total, das Gebäude zu betreten und auszukundschaften. Aber das ist erstens wohl zu gefährlich und zweitens habe ich dafür leider keine Zeit. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie die Spanier solch herrliche Bausubstanz verkommen lassen können – ist es Ignoranz oder Geldmangel? Ich weiß es nicht. Auf dem Weg durch den Ort komme ich an einigen weiteren Palästen vorbei. Jedes einzelne Gebäude könnte mich mir gut als Wohnsitz vorstellen, als Pilgerherberge, als Restaurant, als Hotel, als… Stattdessen wird hier in ein paar Jahrzehnten wohl das erste Haus zur Ruine werden. Ein Jammer…

Ich gehe an einer Kapelle vorbei und folge dem Jakobsweg ein paar Kilometer weiter, bis ich schließlich Cobreces erreiche. Direkt am Ortseingang liegt eine private Herberge; die Beschreibung in meinem Führer klingt verlockend, doch die Lage ist nicht gerade ideal: Man ist relativ weit ab vom Schuss, und wenn man in die Stadt oder sogar zum Strand will, muss man hinterher ein ganz schönes Stück bergauf. Zudem ist es ja noch nicht einmal Mittag.

Ich gehe also weiter. Die Landstraße schlängelt sich den Hügel hinab. Es gefällt mir gut hier, und ich spiele mit dem Gedanken, vielleicht doch hier zu übernachten – schließlich habe ich in meiner Etappenplanung einen Puffertag, den ich noch nicht verbraucht habe. Vielleicht bleibe ich einfach in dem Zisterzienserkloster und genieße erneut den Gesang der Mönche…

Auf der linken Seite erreiche ich die Pfarrkirche von Cobreces San Pedro ad Vincula, ein stattliches Gebäude in leuchtendem Rot, das allerdings eine Renovierung dringend nötig hätte: Putz blättert von den Wänden. Am Eingangsportal teilt mir die Türklinke mit, dass ich auch diesmal darauf verzichten muss, einen Blick in das Gotteshaus zu werfen. Verstehe einer die Spanier…

An das Gelände der Pfarrkirche schließt sich das Zisterzienserkloster an – ein weitläufiger Gebäudekomplex mit einem gepflegten Garten. Hier singen also die Mönche die Vesper und die Komplet. Ich gehe durch ein eisernes Tor und sehe rechter Hand einen Flachbau am Ende eines Parkplatzes. Die Form des Gebäudes erinnert an eine Remise. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier die Pilgerherberge untergebracht ist.

Die Tür steht offen, innen befinden sich zahlreiche Etagenbetten. Bingo, das muss die Herberge sein. Allerdings bin ich allein auf weiter Flur (beziehungsweise auf weitem Flur), denn es ist weder ein Hospitalero noch ein Mönch zu sehen. Die Herberge macht auf mich einen ungemütlichen, fast sterilen Eindruck – die Matratzen sind mit Gummiüberzügen ausgestattet, die sicher auch eine Wanzenbekämpfung mittels Chemiekeule aushalten würden. Irgendwie spricht mich das Ambiente so gar nicht an – aber vielleicht bin ich heute einfach nur wählerisch. Ich will doch alles so nehmen, wie es kommt.

Ich beschließe, einen Blick ins Kloster selbst zu werfen. Die angrenzende Kapelle ist zur Abwechslung mal verrammelt – und der Eingang sieht aus, als wäre er seit den Zeiten von Dornröschen nicht mehr benutzt worden. Ich öffnet die Tür zum Kloster und finde mich in einem langen Gang wieder. Die Wände sind geschmückt von Heiligenbildchen – die Opulenz ist jedoch weit entfernt von der Herberge Buen Pastor in Laredo. Am Ende des Ganges lädt ein Schild dazu ein, die Hauskapelle zu betreten – und fordert dazu auf, das Handy auszuschalten.

Irgendwo brüllt ein Staubsauger, ab und zu dringen Zivilisa- tionsgeräusche an mein Ohr. Ich öffne die Tür zur Hauskapelle – und bin sprachlos: Der Raum ist so gar nicht meins. Der Altar steht in der Mitte des Raumes, darum gruppieren sich in einem Kreis seltsame Holzsitze, die wohl ein Chorgestühl andeuten wollen. Ich nehme auf einem der Stühle Platz und versuche, die Atmosphäre des Raumes aufzusaugen. Das Problem ist nur – der Raum hat keine Atmosphäre. Enttäuscht zücke ich meinen Führer und schaue mir die weitere Route an – hier will ich nicht bleiben, auch nicht wenn die Mönche das Stundengebet singen.

Hinter mir öffnet sich die Tür, das Staubsaugergeräusch wird lauter. Ein Mönch betritt die Hauskapelle, bemerkt mich, drückt auf einen Schalter und verschwindet wieder. Über mir ist ein Licht angegangen. Sehr aufmerksam, aber das reicht nicht, um mich in Cobreces zu halten.

Kurz darauf stehe ich wieder auf der Straße – und überlege, welchen Weg ich einschlagen soll. Vor der Pfarrkirche habe ich ein Schild gesehen, das auf eine Alternativroute zum Jakobsweg hinweist. Ich beschließe, diese Alternative in Augenschein zu nehmen. Ich gehe um die Pfarrkirche herum – und bekomme ein Lächeln ins Gesicht gezaubert. Ich stehe vor dem Pilgerdenkmal von Cobreces, das ich in diversen Internetblogs und auch in der bei Ebay vertickten alten Auflage meines Führers gesehen habe. Wenn ich nicht zurückgegangen wäre, hätte ich diese Denkmal glatt verpasst.

Es handelt sich um eine verrostete Metallplatte, die senkrecht auf einem Betonsockel montiert ist. In die Platte ist die überdimensionale Silhouette eines Jakobspilgers hineingefräst. Ich bitte eine ältere Spanierin, ein Foto von mir zu machen, und posiere quasi in der Silhouette. Als die Spanierin ihr Werk vollendet hat, bedanke ich mich und will weitergehen, als mir plötzlich klar wird, dass es für das Foto wesentlich schöner gewesen wäre, die Kirche als Hintergrund zu haben. Wie gerufen kommt plötzlich eine junge Pilgerin um die Ecke, die mir bislang noch nicht begegnet ist. Bereitwillig schießt sie einige weitere Fotos von mir.

Dann stehe ich erneut vor der Frage, welchen Weg ich einschlagen soll: Folge ich dem Alternativweg oder dem regulären Jakobsweg? Laut Führer ist die Alternative fast zwei Kilometer länger, dafür landschaftlich schöner als der Weg über die Landstraße. Ich entscheide mich für die längere Route und stapfe los. Es geht aus der Stadt hinaus auf eine Art steinigen Feldweg.

Bald bereue ich meine Entscheidung; der Weg ist ganz nett, aber landschaftlich nicht so schön wie erhofft. Lieber hätte ich gesehen, wie der Rest von Cobreces aussieht, und vielleicht auch noch einen Blick aufs Meer erhascht. Stattdessen laufe ich nun auf einer alten Landstraße zwischen Bäumen hindurch. Zum Umkehren ist es aber zu spät; zudem habe ich schon wieder die ebenso nervige wie unnötige „Wer-weiß-ob-ich-noch-ein-Bett- kriege“-Panik.

Schließlich mündet der Alternativweg in die Landstraße, die von Cobreces nach Comillas führt. Nach einigen Kilometern komme ich nach Ruiloba-Iglesia, passiere eine Kirche und bald darauf eine Jugendherberge. Dann geht es wieder durch die Natur, bevor ich die Ortschaften Pando und Concha erreiche. Vor allem letzte Gemeinde hat es mir angetan, bietet sie dem Betrachter (in dem Fall mir) einiges an beeindruckender Bausubstanz.

Eine Gasse sieht aus, als sei die Zeit stehengeblieben. Mich fasziniert die mittelalterliche Bauweise, die ich auch schon in Santillana gesehen habe: Im aus Steinquadern errichteten Erdgeschoss hält sich die Hausfront vornehm zurück und gibt die Bühne frei für eine imposante Holzbalkon-Konstruktion im ersten Stock, die mit der Blütenpracht in den Blumenkästen einerseits die Blicke auf sich lenkt und zweitens den Platz vor der Eingangstür überdacht.

Mittlerweile zeigt die Sonne wieder, was sie kann. Ich schwitze ziemlich und bin mir wieder bewusst, dass ich viel mehr trinken müsste. Auf einem Hügel sehe ich einen weiteren beeindruckenden Gebäudekomplex, der ebenfalls wie ein Kloster aussieht. Im Führer ist das Monument aber mit keinem Wort erwähnt – wahrscheinlich weil der Jakobsweg nicht daran vorbeiführt, denke ich.

Auf der Landstraße geht es weiter Comillas entgegen. Ich sehe weitere Wanderer mit Rucksack und Jakobsmuschel. Mein Bettenpanik-Pegel steigt wieder – die „angenehme Herberge“ in Comillas sei „recht schnell voll“, warnt der Führer. Zu meiner Überraschung komme ich kurz darauf doch an dem Gebäudekomplex vorbei, den ich vorhin in der Ferne gesehen habe. Ein Schild an einer imposanten Steinmauer gibt Auskunft: Es handelt sich um ein Karmeliterinnenkloster.

Schließlich bin ich in Comillas angekommen. Das Stadtbild ist durchaus pittoresk, doch der Weg zur Herberge ist nicht leicht zu finden. Vor der Pfarrkirche links sehe ich einige Pilger stehen, einige andere Pilger laufen vor mir – und haben augenscheinlich ebenfalls Orientierungsschwierigkeiten. Ich erblicke kurz darauf ein Hinweisschild zur Herberge, gebe den Pilgern in meiner Nähe einen Hinweis und steige barfuß die fast antik gepflasterte Straße hinauf. Die Herberge war früher das Stadtgefängnis, weiß ich aus dem Führer.

Ich halte nach einem Gebäude Ausschau, auf das diese Funktion passt, und stehe schließlich vor der Herberge. Die Fenster im Erdgeschoss sind tatsächlich vergittert. Die Eingangstür ist ebenfalls verriegelt – allerdings nicht wegen der Häftlinge innen, sondern weil die Herberge schlicht und einfach noch geschlossen ist. Auf dem schmalen Weg vor der Tür stapeln sich bereits die Rucksäcke, einige Pilger liegen oder sitzen im Gras der angrenzenden Parkfläche. Unwillkürlich zähle ich die Rucksäcke und überlege, ob ich auch noch eins der 20 Betten abbekommen werde. Derzeit sieht es gut aus…

Einige Pilger haben offenbar ihren Rucksack quasi als Platzhalter vor der Tür drapiert, nach dem Motto „Ich war zuerst da“. So viel Mut (oder ist es Chuzpe?) bringe ich nicht auf, also warte ich, bis schließlich die Hospitalera vorfährt und einen überdimensionalen Schlüssel im Türschloss dreht. Die Hospitelera entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Mitarbeiterin der Stadtverwaltung, die in der Herberge ebenso routiniert wie gelangweilt offenbar immer die gleichen Handgriffe versieht.

Ich checke ein, belege ein Bett im Obergeschoss – in einem zwar niedrigen, aber rustikalen und durchaus gemütlichen Raum. Dann gehe ich duschen und Wäsche waschen. Das Geld für den Wäschetrockner kann ich mir sparen, denke ich, als ich im schmalen Innenhof zwischen den beiden Gebäudeteilen die Wäscheleinen entdecke. Als ich meine Sachen aufgeknüpft habe, stelle ich fest, dass die Wäsche an dieser Stelle wenig Chancen hat, trocken zu werden – sie hängt nämlich im Schatten. Also dürfen Hose, Hemd und Co. auf die Leine gegenüber umziehen. Ich bin gespannt, ob die Sachen heute Abend trocken sind.

Da die Herberge in der Küchenzeile auch über eine Mikrowelle verfügt, kommt mir die Idee, in einem Supermarkt nach einer Zwischenmahlzeit zu fahnden. Ich laufe den Hügel hinunter in die Stadt und finde schnell einen Supermarkt. Allerdings ist noch Siesta – wahrscheinlich schlafen die Angestellten alle zwischen den Regalen. Ich drehe derweil eine Runde durch die Altstadt, bewundere die Kirche (die offen geschlossen ist), und erwäge dann, in einem der zahlreichen Restaurants einen Kaffee zu trinken – in erster Line nicht, weil ich Lust auf einen Kaffee habe. Vielmehr habe ich Lust darauf, meinen Lieben einige Bilder nach Hause zu beamen – und brauche dafür Wlan.

Es stört mich ein wenig, wie penetrant das Barpersonal in Comillas um die Kundschaft buhlt: An praktisch jedem Restaurant kann man keine 30 Sekunden stehenbleiben, ohne fast handgreiflich zum Besuch des Etablissements genötigt zu werden. Ein solches Verhalten habe ich nicht mal in Touristenhochburgen wie Castro erlebt – entsprechend befremdet mich diese Diensteifrigkeit.

Schließlich lasse ich mich im Außenbereich eines Restaurants mit Blick auf die Kirche nieder – und entledige mich erstmal meiner Schuhe. Die Kellnerin blickt mich fragend an. Ich bestelle eine Cerveza und überlege, ob ich noch etwas zu essen ordern soll. Da fällt mein Blick auf ein Werbeplakat – darauf ist ein schlangenförmiges Gebäck zu sehen, von dem ich irgendwann schon einmal gehört habe. Ich zeige auf das Plakat, und die Kellnerin fragt: „Churros?“. Stimmt, so hießen die Dinger.

Kurz darauf steht die Leckerei vor mir: frisch zubereitet. Der Teig wird frittiert und dann mit grobem Salz bestreut. Das Gebäck schmeckt – auch zur Cerveza – herrlich, und ist sogar bezahlbar, wie ich später mit einem Blick auf die Rechnung feststelle. Dann schlendere ich zur Kirche hinüber, die immer noch geschlossen hat, und bemerke bei einem Blick aufs schwarze Brett, dass noch eine Abendmesse im Angebot ist. Vielleicht schaffe ich es ja…

Dann gehe ich zurück zum Supermarkt, erstehe ein paar Sa- chen (unter anderem eine Dose Linsensuppe für die Mikrowelle – ich liiiiebe Linsen) und kehre zur Herberge zurück. Eine Mahlzeit später, im Sonnenschein auf dem Rasen vor der Herberge eingenommen, starte ich zu einer zweiten Stadtbesichtigung – diesmal in die andere Richtung.

Vor allem ein imposantes Bauwerk auf einem Hügel am Meer (das endlich wieder in meiner Nähe ist) hat es mir angetan. Das Gelände wird von einem riesigen steinernen Engel bewacht – vielleicht ein Friedhof? Über ein paar Treppen erreiche ich die Straße, die aus der Stadt hinaus in Richtung Meer führt, und stehe bald darauf vor dem Hügel mit dem geheimnisvollen Bauwerk. Ich gehe bergauf und passiere das Eingangstor. Es handelt sich tatsächlich um den städtischen Friedhof. Wieder sind die Gräber samt und sonders in Nischen der Steinwände eingelassen. Erdbestattung scheint hier ein Fremdwort zu sein.

Nicht die Toten, wohl aber die Lebenden haben von hier oben eine grandiose Aussicht aufs Meer. Ich schaue in Richtung des Strandes – und entdecke ein paar Pilger, die ich an der Herberge gesehen habe und die es sich nun im Sand bequem gemacht haben. Dort noch ein wenig auszuruhen, wäre der Knaller, denke ich, und mache mich auf den Weg.

Bald bin ich am Strand angekommen. Ich lege mich in den Sand und schaue den Wellen zu, die versuchen, das Ufer zu entern, aber immer wieder scheitern wie ein Ritter, der kurz vor der Stadtmauer von einem Pfeil niedergestreckt wird. An Baden ist leider nicht zu denken, dazu ist es mittlerweile zu kühl, aber auch so stellt sich echtes Urlaubsfeeling ein.

Später schlendere ich zur Herberge zurück. Auf einem Hügel steht ein Denkmal, das mein Interesse weckt. Ich gehe barfuß über die Wiese zu dem steinernen Monument (ein Kriegerdenkmal, wenn ich mich nicht täusche) und genieße erneut den Blick auf den Ozean. Dann suche ich den Weg zurück zur Herberge.

Als ich dort ankomme, stelle ich fest, dass ich mir ein wenig zu viel Zeit gelassen habe – die Herberge ist verwaist. Die anderen Pilger sind offenbar alle schon in Richtung Abendessen abgerauscht. Das macht mir nichts aus, denn durch meine Zwischenmahlzeit am Nachmittag verspüre ich ohnehin nur wenig Loch im Magen. Mit einer Packung Kekse und einer Portion Vino tinto mache ich es mir auf einer Steinbank vor der Herberge in der Abendsonne bequem, bevor ich – für meine Verhältnisse überraschend früh – meinem Schlafsack Hallo sage.

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte

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Hi, ich bin descalces. Seit 20 Jahren weitgehend barfuß unterwegs - so oft es geht, auch auf dem Jakobsweg...

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