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Der Berg ruft

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Tag 3: Über den Jaizkibel nach Pasaia (13 Kilometer)

Gähnende Leere. Der Schlafsaal ist praktisch verwaist, als ich gegen 8 Uhr die Augen aufschlage. Nur Verena nestelt noch an ihrem Rucksack herum. Ich schwinge mich aus dem Bett: Heute geht es über den Jaizkibel. „Fantastische Ausblicke“ hat mir der Führer versprochen, und tatsächlich: Auf Bildern, die ich zuhause im Internet gesehen habe, ist die Sicht vom Gipfel wirklich gigantisch. Doch als mein Blick aus dem Fenster fällt, klappt mir die Kinnlade herunter: Das Wetter ist umgeschlagen, es ist neblig und bewölkt, dazu kühler. Wird das heute meine zweite Lektion in Sachen „Ich nehme alles, wie es kommt, ohne mich zu ärgern“?

Es ist ein komisches Gefühl, sich anzuziehen, ohne geduscht zu haben. Zuhause springe ich immer gleich unters Wasser, doch das Pilgerleben sieht einen anderen Rhythmus vor: Geduscht wird abends, wenn man müde und verschwitzt an der Herberge ankommt. Dann wird die am Tag getragene Wäsche gewaschen und die am Vortag gewaschene Wäsche bis zum nächsten Abend angezogen.

Apropos Wäsche: Ich muss meine Sachen von der Leine holen. Natürlich sind sie nicht trocken geworden: Ich habe spät gewaschen, dazu der Wetterumschwung. Heute muss also der Rucksack als Wäscheleine dienen – allerdings werden die Sachen wohl auch tagsüber nicht trocken, wenn das Wetter so bleibt. Wir werden sehen…

Im Aufenthaltsraum sind die beiden Franzosen am Frühstücken. Von Scott ist weit und breit nichts mehr zu sehen – er ist bestimmt schon lange unterwegs, um sein Pensum zu schaffen; wenn er in 26 Tagen in Santiago sein will… Es gibt Baguette, Marmelade, Magdalenas, dazu Obst und Saft. Eigentlich kriege ich um diese Zeit noch gar nichts runter, aber auf dem Berggrat gibt es wahrscheinlich keinen Kiosk, also sollte ich die Energiereserven jetzt auffüllen.

Nach dem Frühstück packe ich meinen Rucksack und hänge dann die feuchten Sachen vom Vortag daran. Als ich ins Freie trete, fängt es an zu nieseln. Na prima. Für den Poncho, den mir mein Schatz zum Geburtstag geschenkt hat, ist es aber zu wenig – die paar Tropfen wird der Rucksack vertragen. Ich gehe zu der Abzweigung, an der ich gestern zur Herberge abgebogen bin, und betrete nach links den Jakobsweg.

Mehr als einen Kilometer weit geht es den Waldweg ziemlich steil bergauf, dann sind mein Rucksack und ich am Heiligtum „Eremita Guadeloupe“ angekommen. Ich betrete die Kirche, danke Gott für den bisherigen Weg und trete wieder ins Freie. Auf dem Platz diskutieren zwei junge Spanierinnen, der Rucksackgröße nach zu urteilen keine Pilger, sondern Tagestouristen, mit einem älteren Herrn offensichtlich darüber, ob man bei diesem Wetter den Weg über den Berggrat wagen kann. Wenn ich es richtig verstehe, rät er den Mädels, den unteren Weg zu gehen.

Kurz darauf stehe ich an der Weggabelung. Ein Schild zeigt die Alternativen an: Für „peregrinos alpinistas“ geht es geradeaus weiter, die „anderen Pilger“ sollen links weitergehen. Jetzt muss ich mich entscheiden. Passend dazu fängt es in diesem Moment richtig an zu regnen. Ich gebe mir einen Ruck: Ich will auf den Berg! Ich habe mich monatelang auf diesen Tag gefreut, jetzt werde ich über den Gipfel gehen, auch wenn die Wolken mir die versprochenen grandiosen Ausblicke verwehren. Ich stapfe also geradeaus weiter – und wie zur Bestätigung, dass ich mich richtig entschieden habe, hört der Regen auf.

„Gehen Sie auf den Pfad, der brutal steil bergauf führt“, heißt es im Führer. Immer wieder habe ich mich zuhause gefragt, was es wirklich bedeutet, die „300 Meter (gefühlt ein Kilometer) brutal steil“ zu bewältigen. Jetzt weiß ich es. Fast im Zeitlupentempo, Schritt für Schritt, geht es nach oben. Schon nach wenigen Metern weiß ich nicht mehr, ob das Wasser, das mir von der Stirn rinnt, Schweiß ist oder Regentropfen. Ich komme ge- hörig außer Atem und muss zudem aufpassen, dass ich auf dem schmierigen Untergrund nicht ausrutsche. Ein Sturz am ersten Tag – das würde mir gerade noch fehlen.

Schneller als gedacht habe ich die 300 Meter bewältigt, und der im Führer beschriebene Holzzaun kommt in Sicht. Ich klettere auf die andere Seite – und bin sofort mit meiner Wegaus- wahl versöhnt: Vor mir schlängelt sich ein wunderbarer Pfad durch grüne Weiden dem Gipfel entgegen. Ich ziehe sofort die Schuhe aus und hänge sie an den Karabinerhaken an meinem Bauchgurt – so einen herrlich weichen Untergrund will ich meinen Fußsohlen nicht vorenthalten.

Kaum habe ich die ersten Schritte getan, kommt mir ein Jogger entgegen. Ist Joggen in diesem Fall das richtige Wort? Mit einem wahnwitzigen Tempo springt der junge Mann den Hang hinab, weicht im Zickzack immer wieder Felsbrocken aus, rennt mit einem „Hola“ auf den Lippen an mir vorbei und ist kurz darauf verschwunden. Was war denn das – eine neue Form von Extremsport?

Bald habe ich die Ruine eines Wachturms aus dem 19. Jahrhundert erreicht. Ich gönne mir einen Apfel und eine Banane. Eigentlich mag ich gar nicht so gerne Bananen, aber als Pilgernahrung sind sie angeblich gut geeignet – und so habe ich mir ein paar Affenlutscher eingepackt. Das Wetter ist mäßig bis schlecht, immer wieder wabern Nebelschwaden über den Berg. Vom Meer, das rechts unter mir liegen muss, ist leider nichts zu erkennen.

Ich laufe weiter den Berggrat entlang, passiere grasende Pferde, Kühe und Ziegen, erreiche einen weiteren Wachturm und komme an einem Rastplatz vorbei – hier streift die Landstraße den Bergpfad. Im Sommer spucken Busse hier bestimmt Heer- scharen von Touristen aus. Heute aber ist weit und breit niemand zu sehen.

Ein wenig bang richtet sich mein Blick auf den Gipfel „Allerru“, der sich in 547 Metern Höhe dem Himmel entgegenreckt. Werde ich den Weg auch finden, wenn es sich noch weiter zuzieht? Doch meine Sorge ist unbegründet: Je mehr ich mich dem höchsten Punkt des Berggrats nähere, desto mehr ziehen sich die Nebelschwaden zurück – als wollten sie mir Platz machen. Schließlich bin ich oben angekommen. Mit Fernsicht ist es natürlich Essig, trotzdem freue ich mich riesig, so weit gekommen zu sein. Ich mache ein paar Fotos: Die „alte Festungsanlage“, die im Führer erwähnt ist, entpuppt sich als überwucherter Steinhaufen. Während der Gipfelrast ziehe ich mir die Windbreaker-Jacke über – mir ist nicht wirklich kalt, aber ich bin geschwitzt und will mich nicht erkälten.

Jetzt kommt die kniffligste Stelle, die laut Führer „Trittsicherheit“ erfordert. Na, die habe ich barfuß ganz sicher. Ich kraxele über einige größere Felsbrocken, vorbei an einem Abhang. In der Ferne ist schon wieder ein Wachturm zu sehen. An der Sendeanlage hinter dem Gipfel, die einige imposante Antennen beherbergt, wird der Weg schmaler, ab und zu muss ich Dornen ausweichen. Kurz bin ich mir nicht sicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, taucht wie aus dem Nichts wieder so ein Extrem-Jogger auf – in einem Affentempo rennt er einen Pfad etwas unterhalb von mir entlang. Aha, da muss ich also hin… Es geht nun wieder bergab, vorbei an einer kuriosen Holztreppe, die vermeintlich ins Nirgendwo führt (vermutlich gab es hier mal einen Weidezaun).

Dann erreiche ich ein steinernes Kreuz – der ideale Platz für eine Rast. Ich lehne mich an den Kreuzesstamm, schnaufe durch und genehmige mir ein paar Magdalenas. Mit dem Wasser muss ich haushalten – ich habe nur einen Liter mitgenommen, das war etwas wenig. Ich schreibe ein bisschen in mein Tagebuch und schaue den Ameisen zu, die zwischen meinen Füßen fleißig Magdalenas-Krümel abtransportieren.

Plötzlich lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor; es klart ein wenig auf. Wenigstens für ein paar Minuten kann ich nun doch so etwas wie Fernsicht genießen; ich überlege, ein paar Fotos zu schießen. Dazu müsste ich ein paar hundert Meter weitergehen, doch ich will noch ein wenig rasten.

Von rechts taucht Verena auf, mit der ich mich gestern schon in Hondarribia unterhalten habe. Sie hat also trotz des Wetters auch den Weg über den Gipfel gewählt. Doch sie ist nicht allein: Unterwegs hat sie Moira aus Alaska getroffen; gemeinsam sind sie in den letzten Stunden seit der Weggabelung über den Berg gepilgert.

Wir kommen ins Gespräch: Moira ist zwei Tage lang unterwegs gewesen, um vom nordwestlichsten Zipfel der USA (Hawaii mal ausgenommen) nach Spanien zu gelangen – und dabei über Frankfurt geflogen. Interessiert begutachtet sie meine nackten Füße und erzählt, dass sie in ihrem Job als Lehrerin auch immer barfuß unterrichtet. Dass ich aber den kompletten Berggrat ohne Schuhe entlanggewandert bin, macht sie ein wenig sprachlos.

Sie sei im vergangenen Jahr auf dem Camino Frances unterwegs gewesen, erzählt Moira. Jetzt will sie den Camino del Norte bis Santiago laufen. Die beiden Damen machen sich wieder auf den Weg – ich werde sie bald wiedersehen, denn sie wollen die Nacht auch in Pasaia verbringen.

Kurz darauf setze ich meinen Rucksack wieder auf und mache mich an den Abstieg. Die Sonne hat leider schon wieder Feierabend gemacht, ich verzichte deshalb auf weitere Bilder mit grauem Horizont. Nach einigen hundert Metern kommt wieder die Landstraße in Sicht. Der soll ich in gleicher Richtung folgen, sagt mir der Führer. Ich stapfe also auf dem Asphalt voran. Doch bald wundere ich mich – die Beschreibung im Buch passt nicht mehr zu dem, was ich vor meinen Füßen habe. Und wo ist eigentlich der Wald, der durchquert werden soll?

Ich habe mich wohl verlaufen. Mein Gefühl sagt mir zwar, dass ich wieder auf den richtigen Weg stoßen werde, wenn ich auf der Landstraße bleibe. Trotzdem entscheide ich mich zur Umkehr – sicher ist sicher. Ich stöpsele mir die InEars in die Ohren und untermale den Rückweg mit dem Lied „Verlaufen“ von Johannes Falk. Meine Gedanken schweifen ab: Ist nicht dieser Fauxpas ein Spiegelbild des Lebens? Wie oft verlaufen wir uns auf dem Lebensweg, weil wir den richtigen Abzweig verpassen? Hoffen wir dann nicht auch, weiter in die richtige Richtung zu laufen, auch wenn wir nicht umkehren wollen – weil wir zu bequem sind oder nicht den Mut dazu haben?

Bald finde ich die Stelle, an der ich falsch abgebogen bin: Der Durchgang durch den Zaun in den Wald ist lediglich mit zwei kleinen gelben Klebestreifen markiert, nicht mit Pfeilen. Kein Wunder, dass ich das nicht gesehen habe. Der weitere Weg durch den Wald entschädigt für die zusätzlichen Kilometer: Die Landschaft ist einfach nur schön.

Irgendwann stoße ich wieder auf die Landstraße; kurz darauf kommt Pasaia in Sicht. Ich erreiche die Stufen, von denen im Führer die Rede ist. Ein Wegweiser zur Herberge „Eremita de Santa Ana“ ist auch schon zu sehen. Darunter ist ein weiteres Schild: „Geöffnet ab 16 Uhr“ steht darauf. Ich bin ein wenig zu früh, aber vielleicht habe ich ja Glück und es ist schon jemand da.

Verena und Moira warten schon auf einer Bank neben der Herberge. Das Gebäude, eine umgebaute Kapelle, ist wirklich sehenswert. An der Wand prangt neben der obligatorischen Jakobsmuschel auch das merkwürdige geschwungene Symbol, das ich in den nächsten Tagen im Baskenland immer wieder sehen werde. Auf der anderen Seite des Gebäudes ist an der Hauswand zu lesen, wie weit es von hier aus noch bis Santiago de Compostela ist – genau 825 Kilometer.

Weitere Pilger tauchen auf: ein italienisches Ehepaar und eine weitere Deutsche. Die Welt ist klein: Gabriela wohnt nur ein paar Kilometer von mir entfernt. Wir unterhalten uns nett, bis um kurz vor 16 Uhr zwei Spanier auftauchen. Einer der beiden schließt die Herberge auf. Der andere, so erfahren wir, ist der Hospitalero, der heute seinen ersten Tag hat. Wir bekommen alles gezeigt: Der Sanitärbereich ist im Untergeschoss, über die Treppe geht es hinauf in die Herberge. Mir verschlägt es die Sprache: die Eremita ist ein Traum. Natursteinwände, versetzte Ebenen, alles toll dekoriert mit viel Liebe zum Detail. Und WLAN gibt es auch, also werden gleich mal ein paar Fotos an die Lieben daheim gesendet.

Ich beziehe mein Bett und unterziehe mich dem Pilger-Nass-Ritual: erst mich duschen, dann die Wäsche duschen. Bald flattern Hemd und Hose vor der Herberge im Wind und genießen die Aussicht auf den Hafen. An der Wand über dem Tisch, an dem der Hospitalero sitzt, das Geld kassiert und die Stempel verteilt, hängt das berühmte Mosaik, von dem auch mein Führer erzählt. Es soll den Revolutionsführer Che Guevara zeigen. „Es geht auf das Schaffen einer einst hier ansässigen Hippie-Kommune zurück“, heißt es im Buch. Nur: einen Revolutionsführer kann ich aus den bunten Steinchen an der Wand beim besten Willen nicht herauslesen. Verena, die interessiert dazukommt, geht es ebenso. Egal, ich mache ein Foto von dem Mosaik, denke ich, hebe die Kamera – und bin wieder einmal verblüfft: Auf dem Display des Fotoapparates ist Che Guevara plötzlich sehr gut zu erkennen.

Am schwarzen Brett schaue ich nach den Zeiten für die Messe in der Pfarrkirche. Um 19.30 Uhr findet sie statt. Ich mache mit Verena, Gabriela und Moira aus, mich am Abend mit ihnen zum Essen zu treffen – ich werde zu ihnen stoßen, wenn die Messe vorbei ist.

Es nieselt leicht, als ich die vielen Treppenstufen von der Herberge zur Hauptstraße hinuntersteige. Wobei Hauptstraße eigentlich das falsche Wort ist: Der Hang am Meer ist so zugebaut, dass die Straße unter den Häusern verläuft. Immer wenn ein Auto kommt, springen die Passanten in die Hauseingänge. Es gibt sogar eine Art Ampelanlage mit vier Pfeilen, die ich aber nicht kapiere.

Kurz darauf stehe ich vor der Kirche. Es ist 19.30 Uhr, aber alles ist noch verrammelt. Bin ich etwa schon wieder falsch? Eine ältere Frau fragt mich, ob ich in die Messe will, und zeigt auf eine Seitentür. Es scheint so, als würde ich erneut nicht in den Genuss kommen, eine Messe in der Kirche selbst erleben zu können. Als ich durch die Seitentür getreten bin, wartet eine neue Überraschung auf mich: die Messe findet auch nicht in einer Kapelle statt, sondern in der Sakristei. Der Priester, ein freundlich dreinblickender Herr mit graumeliertem Vollbart, wirft gerade lässig ein weißes Laken über einen dunkelbraunen Holztisch.

Wie ich feststelle, senkt meine Anwesenheit den Altersschnitt dramatisch: Die weiteren Messbesucher, fünf alte Damen, sind alle jenseits der 60. Geräuschvoll rücken sie sich einige klobige Lehnstühle zurecht. Bänke gibt es nicht. Eine der alten Damen beäugt mich misstrauisch. Sie denkt bestimmt, ich hätte mich verirrt. Und tatsächlich: jetzt spricht sie mich auf Spanisch an. Wieder zahlt es sich aus, dass ich vor der Abreise acht Wochen lang Vokabeln gebüffelt habe. Ob ich „una pregunta“ habe, will sie von mir wissen. Ich habe keine Frage, sondern ich will in die Messe gehen. Ich setze mich auf einen Stuhl am linken Rand.

Währenddessen hat der Priester einige Bücher auf dem Tisch verteilt. Wann er wohl sein Messgewand anzieht? Noch steht er in Pulli und Jeans vor uns. Plötzlich lächelt er mich an und fragt, woher ich komme. Als ich mein „Alemania“ geantwortet habe, fragt er in bestem Deutsch: „Macht es Ihnen was aus, wenn wir die Messe teilweise auf Baskisch lesen?“ Ich muss schmunzeln und sage ihm, dass ich auf Spanisch genauso wenig verstehe wie auf Baskisch.

Die Messe beginnt, der Priester geht schnell noch zum Wandschrank, holt eine weiße Kasel heraus und wirft sie sich über. Die unveränderlichen Teile der Messe liest er auf Baskisch, die Tagesgebete auf Baskisch und Spanisch. Wieder verschlägt es mir die Sprache, wie schnell die Messe in Spanien vorbei ist. Keine 20 Minuten, und alles wird wieder in den Wandschrank geräumt. Für ein wenig Andacht bleibt nicht viel Zeit…

Es nieselt immer noch, als ich ins Freie trete und versuche, über das Handy mit Verena, Gabi und Moira Kontakt aufzunehmen. Schließlich weiß ich nicht, welches Restaurant sie sich ausgesucht haben. Ich vermute, dass sie zum Hafen gelaufen sind. Also mache ich mich dorthin auf den Weg. Leider ist die Kontaktaufnahme zunächst erfolglos – ich erreiche sie nicht. Ob sie vielleicht noch gar nicht losgegangen sind? Es bleibt mir nichts anderes übrig: Ich muss die Stufen zur Eremita Santa Ana hinaufsteigen, um nachzusehen. Doch die Herberge ist verwaist, nur der Hospitalero tippt auf seinem Laptop herum.

Also trippele ich die Stufen ein weiteres Mal hinunter und mache mich auf den Weg zu dem kleinen Platz, der von einer Handvoll Restaurants und Bars umrahmt wird. Endlich klingelt mein Handy und Verena sagt mir den Namen des Restaurants. Weil ich es nicht gleich finde, kommt Moira extra nach draußen und winkt mir zu.

Ich betrete das gemütliche Fischlokal, das mit weißgestrichenen Holzmöbeln eingerichtet ist. Wir sind die einzigen Gäste. Die drei Ladys haben die Vorspeise schon hinter sich – ich darf die Reste kosten: eine panierte Sardine und etwas Gemüsesuppe. Lecker! Während ich noch die Karte studiere und nur Bahnhof verstehe, bekommt das Damentrio schon den Hauptgang. Sie haben von der Karte auch nicht viel mehr verstanden als ich – und einfach regionale Spezialitäten bestellt. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, ordere ich eine gemischte Fischplatte. Kurz darauf beginnt es in der Küche kräftig zu brutzeln.
Das Essen kommt erfreulich schnell. Wir müssen lachen: das Gericht ist großzügig mit gerösteten Knoblauchstücken bestreut. Nicht gerade hilfreich für die weitere Kommunikation, allerdings schmeckt der Knoblauch wirklich total lecker. Also bedienen sich alle vier an dem Gewürz – so stinken wir alle und keiner stört sich dran. Hoffentlich sehen das auch die Italiener in der Herberge so.

Zum Fisch reicht der Kellner Sidra. Zum ersten Mal erlebe ich, wie in Spanien dieses Getränk eingeschenkt wird: Das Glas hält der Kellner auf Kniehöhe, die Flasche streckt er über seinen Kopf. Dass bei dieser traditionellen Handlung ein Teil der Flüssigkeit daneben geht, gehört wohl dazu. Nach einem netten Abendessen mit guten Gesprächen schlendern wir durch das Dunkel zur Herberge zurück.

Morgen will ich bis Orio laufen – die Herberge von Rosa wird in meinem Führer sehr gelobt. Ich freue mich sehr auf den Küstenweg von Pasaia nach San Sebastian. Hoffentlich lässt mich das Wetter nicht im Stich.

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte

 

 

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Hi, ich bin descalces. Seit 20 Jahren weitgehend barfuß unterwegs - so oft es geht, auch auf dem Jakobsweg...

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