Vorbereitungen

Das Päckchen ist leicht, flach und rechteckig. Mit einem Lächeln hat es mein Schatz mir überreicht. Ich reiße vorsichtig das Geschenkpapier auf – und finde darin eine Landkarte. Eine Landkarte von Nordspanien, vom Camino del Norte. Voller Vorfreude riskiere ich einen ersten Blick auf den Weg, den ich in einigen Monaten zurücklegen will, lese die Namen der Städte, durch die der Nordweg führt.

Aber wann werde ich den Camino gehen? Das Zeitfenster gibt der Dienstplan im Büro vor: Im Mai oder Juni wäre es problemlos möglich, ein paar Wochen Auszeit zu nehmen. Den kompletten Camino del Norte bis Santiago zu gehen, würde allerdings sechs Wochen Zeit benötigen – so lange kann ich die Familie nicht alleine lassen. Mein Schatz bittet mich schließlich, nicht länger als drei Wochen weg zu sein. Damit ist klar: Ich werde es nur schaffen, bis Santiago zu kommen, wenn ich quasi in der Mitte des Weges starte. Immer wieder höre ich allerdings, dass der erste Teil des Weges, der durch das Baskenland, der landschaftlich schönste Part sein soll.

Ich erwäge einige Tage, in den drei Wochen so eine Art „Best of Camino del Norte“ zu laufen: In Irun starten, die schönsten Teile des Weges laufen, andere Teile mit Bus oder Bahn fahren und schließlich nach drei Wochen am Grab des hl. Jakobus an- kommen. Aber was hat das noch mit Pilgern zu tun? Kann ich so wirklich innerlich zur Ruhe kommen, wenn ich mich dauernd um Fahrpläne und Abfahrtszeiten kümmern muss, wenn ich immer wieder aus dem „gewohnten“ Tagesablauf gerissen wer- de und stundenlang in einem weichen Polstersessel sitze, statt zu Fuß auf dem Camino unterwegs zu sein? Ich meine Nein.

Damit ist die Entscheidung gefallen: Ich werde den Camino in Irun starten, an der französisch-spanischen Grenze. Und ich werde in den drei Wochen so weit laufen, wie ich komme – so weit mich die Füße tragen. Dass ich dabei Santiago nicht erreichen werde, nehme ich in Kauf. Ich habe von vielen Pilgern ge- lesen, die den Weg nach Santiago in mehreren Etappen zurückgelegt haben, teilweise erst nach Jahren ihre Pilgerreise beendet haben. Was hindert mich daran, es ebenso zu machen?

Das ist doch eine schöne Idee: Ich laufe den ersten Teil des Camino in diesem Jahr alleine, den zweiten Teil des Camino bis Santiago werde ich dann gemeinsam mit meinem Schatz zurücklegen, wenn die Kinder alt genug sind, mal ein paar Wochen ohne uns zurechtzukommen.

Zaghafte Versuche meines Schatzes, mir einen Pilgerpartner zu besorgen („dann nimm doch Deinen Schwager mit“) blocke ich ab: Ich will einmal drei Wochen lang auf niemanden Rücksicht nehmen müssen. Viel zu oft ist mein Leben schon fremdbestimmt – durch Familie, Beruf und zahlreiche andere Termine und Verpflichtungen, die das Leben so mit sich bringt. Diesmal möchte ich unterwegs mich mit niemandem absprechen müssen: Wie lange laufe ich heute? Wie schnell bin ich unterwegs? Wo mache ich Pause? Was esse ich heute? Wo werde ich schlafen? Dies alles nicht mit einem Begleiter absprechen zu müssen, sondern alleine entscheiden zu können – das ist es, was ich will.

Als nächstes steht die Auswahl des richtigen Führers an. Ich stehe vor der Frage, die jeder deutsche Pilger zu beantworten hat: den gelben oder den roten? Also den Outdoor-Führer von Reinhard Joos oder doch den Führer aus dem Rother-Verlag? Ich recherchiere ein wenig im Internet, bin aber schnell sicher, dass ich mit dem gelben Outdoor-Buch laufen will. Mein Schatz ist im vergangenen Jahr den Camino Portugues auch mit dem gelben Buch gelaufen – und war zufrieden. Zudem fasziniert mich, dass der Outdoor-Führer fast für jede Route Varianten bereithält, mit denen ich so oft wie möglich Wege an der Küste genießen kann, statt im Landesinneren unterwegs zu sein. Also bestelle ich den Führer – und schmökere anschließend wochenlang darin, sauge quasi den Inhalt auf, fange an zu überlegen: Wie weit kann ich an den einzelnen Tagen laufen? Wo sind schöne Ecken, die ich auf keinen Fall verpassen darf?

Als Monate später die Neuauflage des Führers herauskommt, stelle ich fest, dass das neue Buch viel bessere Karten hat als die „alte“ Auflage. Zudem sind die Angaben zu Herbergen und Co. auf dem neusten Stand. Also bestelle ich den neuen Führer, das bisherige Exemplar findet innerhalb weniger Stunden auf Ebay einen neuen Besitzer.

Wie komme ich am besten nach Spanien? Weil der Flughafen Hahn quasi direkt vor der Haustür liegt, schaue ich nach Flügen von dort. Ryanair fliegt nach Santander, mit dem Bus kann ich dann nach Irun fahren und meinen Camino beginnen. Den Rückflug kann ich auch von Santiago aus antreten, aber da ich dieses Mal ja nicht dort ankommen werde, ist für die Rückreise ebenfalls Santander die erste Wahl. Als der Reisetermin steht, buche ich die Flüge – die wirklich spottbillig sind: der Hinflug kostet gerade mal 27 Euro, der Rückflug schlägt mit 35 Euro zu Buche.

An meinem Geburtstag bitte ich die Gäste auf der Einladung um einen Beitrag zu meiner geplanten Pilgerreise. Mein Schatz hat mir extra ein Sparschwein in Form eines weißen Herzens geschenkt und mit einem Stift „My way – to Santiago“ draufgeschrieben. Das Herz wird an der Party aufgestellt – und fleißig gefüllt. Als zu später Stunde die Gäste gegangen sind, öffne ich mit klopfendem Herzen das Herz und schaue hinein. Meine Freude ist riesengroß: Familie und Freunde waren wirklich großzügig, meine Pilgerreise ist praktisch finanziert!!!

Einige Wochen später geht es weiter mit dem Buchen: Ich reserviere über booking.com ein Zimmer in einem Hotel in Santander. Der Flieger kommt erst am Abend in der Stadt an, so dass ich nicht direkt mit dem Bus nach Irun weiterreisen kann, sondern einmal übernachten muss. Eine prima Gelegenheit, sich in Spanien zu akklimatisieren und gleich mal die Füße in den Atlantik zu hängen.

Nachdem ich im Pilgerforum (www.daspilgerforum.de) ein paar Tipps zur Busfahrt nach Irun bekommen habe, buche ich gleich die Reise zum Startpunkt meiner Pilgerschaft. Für den fraglichen Tag stehen unter www.alsa.de mehr als eine Handvoll Verbindungen zur Auswahl. Die frühen und späten Gelegenheiten fallen weg, übrig bleiben im Prinzip zwei Daten. Eine davon ist doppelt so teuer wie die übrigen, der Bus ist aber eine Stunde schneller am Ziel. Ich entscheide mich für die günstigere Verbindung (15 Euro) – und hoffe, so ein wenig mehr von Nordspanien zu sehen: schließlich wird der Bus immer wieder von der Autobahn abfahren und auch kleinere Orte ansteuern, statt straight on the road Irun entgegenzufahren.

Darüber hinaus buche ich auch noch die zweite Übernachtung in Hondarribia: Ich will dort in der Herberge Capitán Tximista absteigen und am nächsten Tag über den Jaizkibel laufen. Die Buchung erledige ich über eine in Englisch verfasste Mail; die Bestätigung kommt prompt, das wäre also auch in trockenen Tüchern.

Schließlich besorge ich mir – gebraucht über Ebay – noch einen allgemeinen Pilgerratgeber aus dem Outdoor-Verlag. Darin gibt Reinhard Joos viele nützliche Tipps zum Pilgeralltag, zu Schwierigkeiten und Herausforderungen, die der Weg bereithält.

Jetzt fühle ich mich gut vorbereitet. Einzig eine Frage ist noch ungeklärt, aber die ist durchaus gewichtig – im wahrsten Sinne des Wortes: Was nehme ich nur mit?

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte