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Ultreia!

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Tag 5: Von San Sebastian nach Orio (15 Kilometer)

„Ultreia“. Mit gelber Farbe prangt das Wort auf der Natursteinwand. Ultreia, das heißt „Vorwärts, immer weiter“, wie ich bei meinen Vorbereitungen auf den Camino bereits vor Monaten gelernt habe. Ein uralter Jakobsweg-Gruß, mit dem sich wohl schon die Pilger im Mittelalter gegenseitig Mut gemacht haben. Ein wenig Zuspruch kann auch der Jakobsweg-Pilger anno 2015 gut gebrauchen, nachdem er den Anstieg von San Sebastian hinauf zum Berg Igeldo geschafft hat. Das weiß der unbekannte Zeitgenosse, der hier eine Art Versorgungsstation aufgebaut hat, offenbar gut. Denn er hat es nicht bei ein paar aufmunternden Worten an der Wand belassen: Ein Tischchen und ein paar Stühle stehen da, dazu große Wasserflaschen, verbunden mit der ebenfalls schriftlichen Aufforderung, sich reichlich zu bedienen und dafür bloß kein Geld dazulassen. „Aqua = Ura“ steht darüber an der Wand. Wasser ist Leben.

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Auf dem Camino del Norte ist dieser Platz fast schon eine Berühmtheit. Ich habe schon einige Male Fotos davon gesehen, jetzt stehe ich selbst hier. Ich fülle meine Flasche auf und drücke einen Stempel in mein Credential. Ein wenig Zeit nehme ich mir noch, um die Zettel zu lesen, die – von einer Klarsichthülle geschützt – ebenfalls an der Wand hängen. Darauf finden sich Infos zum weiteren Weg und zu den nächsten Herbergen. Neben einer an die Wand gedübelten Jakobsmuschel findet sich schließlich noch der Hinweis, wie weit es noch bis Santiago ist: 795 Kilometer.

Ich mache mich wieder auf den Weg und lasse den bisherigen Tag Revue passieren. Der Abschied von „Anne“ war herzlich, auch sie hat meinen Pilgerpass mit einem Stempel versorgt und mir dann alles Gute gewünscht. Die Altstadt war wie ausgestorben – das öffentliche Leben kommt in Spanien viel später in Gang. Noch einmal bin ich an der Bucht „La Concha“ vorbeigekommen. Ich habe allerdings darauf verzichtet, am Strand er- neut die Füße ins Wasser zu hängen – der Blasengefahr wegen. Leider hat es der neue Tag nicht geschafft, das schöne Wetter von seinem Vorgänger zu übernehmen. Die Sonne versteckt sich hinter grauen Wolken, ab und zu tröpfelt es ein wenig. Vielleicht ganz gut so, sonst wäre der Weg auf den Monte Igeldo noch deutlich schweißtreibender gewesen. Ich begegne einigen anderen Pilgern, darunter auch einer Behindertengruppe. Zehn junge Männer mit mehreren Betreuern stapfen tapfer den Berg hinauf, einen Tagesrucksack auf dem Rücken. An jedem Rucksack hängt ein Foto des Besitzers, stelle ich fest.

Ich setze zum Überholen an und kämpfe mit dem Gedanken, vielleicht kein Bett in Orio mehr zu bekommen. Was, wenn die ganze Gruppe bei Rosa absteigen will – die Herberge hat doch nur 20 Betten. Dabei will ich doch unbedingt in dieser Herberge übernachten, die als eine der absoluten Kultherbergen des Camino del Norte gilt.

Ich bemerke plötzlich, dass der Hüftgurt des Rucksacks ziemlich locker ist. Ich ziehe ihn kräftig fest – und stelle erstaunt fest, dass sich der Rucksack mit einem Schlag viel leichter anfühlt. War der Bauchgurt gestern auch zu locker? War das der Grund, warum ich gestern so entkräftet in San Sebastian gestrandet bin? Vermutlich, denn nun, als der Rucksack fest auf den Hüftknochen ruht, komme ich viel leichtfüßiger voran. Ich erinnere mich, den Hinweis mit dem Bauchgurt auch schon zuhause im Internet gelesen zu haben. Warum habe ich nicht mehr daran gedacht? Egal, ich bin froh, dass mir dieser Fauxpas aufgefallen ist – ab sofort werde ich darauf achten!

Der Weg nach Orio ist nicht so spektakulär wie der am Tag zuvor, aber gut geeignet, die Seele baumeln zu lassen. Es geht an sattgrünen Weiden vorbei, auf denen Pferde grasen. Ich entdecke fasziniert Sträucher mit silberfarbenen Beeren, die ich zuhause noch nie gesehen habe. Es geht immer noch bergauf, aber nicht mehr so steil wie zu Beginn. Dörfer gibt es hier nicht, lediglich „Streusiedlungen“, wie es in meinem Führer heißt. Immer wieder komme ich an einzelnen Häusern vorbei, viele davon schön herausgeputzt.

Mir fällt auf, dass die Basken auf dem Land nicht so zurückhaltend mit ihren Familiennamen sind wie die Städter. An vielen Häusern prangt der Name in dicken Lettern über der Eingangstür, an manchen – feudaleren – Anwesen auch über dem Torbogen. Sehr oft stehen dort Doppelnamen – etwa Leku-Eder. Ob die Leute wirklich so heißen oder ob da vielleicht noch der Mädchenname der Ehefrau mit verewigt ist, bleibt mir verborgen.

Es wird Zeit für die Mittagspause, auch wenn es noch gar nicht Mittag ist. Aber da ich ja heute „nur“ 12 Kilometer laufe und bereits um 8.30 Uhr gestartet bin, will ich mir ein wenig Zeit lassen, um nicht zu früh an der Herberge anzukommen. Der Weg ist wirklich gut ausgeschildert, immer wieder finde ich Wegweiser aus Holz, garniert mit einem gelben Pfeil und dem Schriftzug „Done Jakue Bidea“ – das baskische Wort (bzw. die Wörter) für Jakobsweg.

Über einen steinigen Pfad geht es nun bergab durch einen Wald. Ich halte weiter Ausschau nach einem geeigneten Platz zum Rasten – und erreiche kurz darauf eine Quelle, umrahmt von zwei Bänken. Hier bleibe ich, denke ich, und stelle meinen Rucksack ab. Zunächst streife ich die Five-Fingers von den Füßen, die mir bislang gute Dienste geleistet haben. Zuhause wäre ich den heutigen Weg mit Sicherheit komplett barfuß gelaufen, doch ich will meine Fußsohlen nicht ruinieren – schließlich sollen sie mich noch ein paar hundert Kilometer weitertragen.

Als ich meine Brotzeit ausgepackt habe (das Brot aus der ökologischen Bäckerei der „Zwölf Stämme“ ist immer noch schön weich und schmackhaft – Wahnsinn!), wird es plötzlich lebhaft. Eine Gruppe Jugendlicher nähert sich – es wird geredet und gelacht. Offenbar eine Schulklasse, die einen Ausflug macht, vermute ich. In Spanien wird am Wandertag offenbar noch gewandert, statt ins Kino zu gehen…

Die Schlange der Jugendlichen nimmt kein Ende, das müssen bestimmt hundert Kinder sein. Und freundlich sind sie: immer wieder rufen sie mir ein fröhliches „Hola“ zu. „Hola“, grüße ich zurück. Plötzlich gerät die Karawane ins Stocken: Ein paar Kinder haben meine Schuhe entdeckt, die neben meinen nackten Füßen Pause machen. „Tus Zapatos?“, fragt ein Junge ungläubig und zeigt auf die Five-Fingers. Ich nicke. Das löst einen kleinen Tumult aus – jetzt will jeder die verrückten Schuhe sehen, mit denen der fremde Pilger unterwegs ist.

Schließlich gehen die Kinder weiter, doch das Schauspiel ereignet sich noch ein paar Mal. Ungläubige Blicke, ein spanischer Wortschwall, Gekicher, und freundlicher Abschied – und weiter geht es den Berg hinab. Am Ende der Karawane wanken die Fußlahmen – von ihren Kameraden gestützt. Dann wird es wieder still.

Ich denke darüber nach, wie lange ich noch sitzen bleiben will. Das Plätzchen ist lauschig, die Quelle plätschert idyllisch, weniger idyllisch sind aber die Mückenschwärme, die offenbar ebenfalls Lust auf ein Mittagessen haben. Ein weiterer Pilger, der den Weg hinabgestiegen kommt, holt mich aus diesen Gedanken. Es ist ein Mann älteren Semesters, er bleibt vor mir stehen, schaut ebenfalls interessiert auf meine Schuhe. „Buenos dias, Señor“, grüßt er mich. Ich meine, in der spanischen Begrüßung einen kölschen Zungenschlag herausgehört zu haben, und frage deshalb ungeniert auf Deutsch: „Sind Sie Spanier oder Deutscher?“

„Heute bin ich mal Deutscher“, gibt der Mann belustigt zurück. Jetzt kann er seine Herkunft nicht mehr verbergen. „Und Sie sind aus Köln“, stelle ich fest. „Ach, hört man das?“, fragt er und zieht eine Augenbraue hoch. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt, dass er ebenfalls in Irun gestartet ist, allerdings einen Tag nach mir. Er scheint also gut zu Fuß zu sein. Dann verabschiedet er sich und geht weiter.

Ich schultere ebenfalls meinen Rucksack, schlüpfe in die aufsehenerregenden Schuhe und mache mich auf den restlichen Weg nach Orio. Ich treffe drei Franzosen und packe meine ebenfalls ziemlich rudimentären Französisch-Kenntnisse aus. Kurz darauf bleiben sie zurück, sie warten auf eine Verwandte, die Knieprobleme hat.

Es geht nun wirklich steil den Berg hinab, dann unter der Autobahn hindurch und auf der anderen Seite den Berg wieder hinauf. Schließlich erreiche ich die Kapelle Sankt Martin – die sicher wieder verrammelt ist, vermute ich. Ich liege richtig, drehe mich um und bemerke eine junge Frau, die auf dem Boden sitzt und – an die Kirchenwand gelehnt – ein Päuschen macht. Ich lasse mich ebenfalls auf dem Boden nieder – für die Ankunft in der Herberge San Martin ist es immer noch ein wenig früh.

Ruth aus Barcelona ist 23 Jahre alt und von Beruf Musiklehrerin. Sie spielt Klarinette, genau wie mein ältester Sohn. Gerade ist sie von einem einjährigen Irland-Aufenthalt zurückgekommen, „und dann habe ich zwei Tage später zu meiner Mama gesagt: Ich gehe jetzt den Camino del Norte“, lacht sie und beginnt damit, zwei fette Blasen an den Fußballen mit Compeed abzukleben.

Es gibt weitere Anknüpfungspunkte für ein nettes Gespräch: Sie kommt aus einer kinderreichen Familie, ist das dritte von sieben Kindern. Wir tauschen uns ein wenig über ihre Geschwister und meine Kinder aus und kommen dann auf den Camino del Norte zu sprechen. Mir bleibt die Spucke weg, als sie erzählt, dass sie den Küstenweg schon einmal gelaufen ist – mit ihrer Familie: „Meine Eltern sind damals mit allen sieben Kindern von Irun bis nach Santiago gepilgert – der Jüngste war damals vier Jahre alt.“ In Santiago habe man dem Nesthäkchen die Compostela, die traditionelle Pilgerurkunde, verweigern wollen, weil er ja nicht selbst gepilgert sei. „Dabei ist er den ganzen Weg gelaufen“, lacht Ruth. Da das Herbergsnetz vor Jahrzehnten nicht so dicht war, habe man oft unter Kirchenvordächern – so wie das dieser Kapelle – geschlafen. Das Erlebnis habe die Familie sehr zusammengeschweißt, fügt sie noch hinzu.

Ich bin gerührt und beeindruckt zugleich – und muss daran denken, dass mein Schatz nach seinem Camino zu mir gesagt hatte: „Das müssten wir mal mit der ganzen Familie machen.“ Ich hatte damals abgewiegelt – zu kompliziert, zu teuer, die Jüngste zu klein… Jetzt komme ich ins Grübeln. Vielleicht könnten wir ja doch mal alle gemeinsam…

Wir verabschieden uns. Ich bin ein wenig traurig, dass ich nicht noch mehr von ihr und ihrer Familie erfahren kann. Ruth will heute noch nach Zarautz. Die Herberge dort ist zwar geschlossen, aber sie will einen Bekannten besuchen und dort auch übernachten. Ich werde sie auf dem Camino nicht mehr wiedersehen…

Nach ein paar Hundert Metern bin ich an der Herberge San Martin angekommen. Sie befindet sich im Souterrain des Privathauses von Rosa – ein stattliches Anwesen mit einem großen Garten und schönem Blick ins Tal. Hinweisschilder schicken mich auf die Rückseite des Hauses. Mein Blick fällt auf einen Fahrradunterstand aus Holz, offenbar selbst gebaut – ein echtes Schmuckstück. Unter dem Dach stehen zwei Fahrräder, auf der Leine darüber trocknet Wäsche. Offenbar bin ich doch nicht sooo viel zu früh – es scheinen schon andere Pilger eingetroffen zu sein.

Genauso ist es: Am Eingang zur Herberge stehen schon ein paar Gestalten mit Rucksack. An einem Schreibtisch sitzt eine ebenso sympathisch wie resolut aussehende Dame mittleren Alters. Das muss Rosa sein. Ich reiche ihr mein Credential und riskiere einen Blick in den Schlafsaal: Immer zwei Etagenbetten sind durch Raumteiler abgetrennt – für ein wenig Privatsphäre. Es scheinen noch genügend Betten frei zu sein. Puh – bis zur nächsten Herberge wären es nochmal mindestens 15 Kilometer gewesen.

Rosa versieht meinen Pilgerausweis mit einem Stempel und schiebt den Geldschein für die Übernachtung in eine Schublade ihres Schreibtisches. Als einer der anderen Pilger nach drahtlosem Internet fragt, wird sie kurz ungehalten: „Früher haben die Leute gefragt: Kann ich ein Bett haben? Heute sagen sie: Bitte ein Bett und das WLAN-Passwort.“

Dann zeigt sie uns die Herberge und verkündet, dass es um 20 Uhr im Gartenhaus Abendessen gibt. Ich breite meinen Schlafsack auf einem der Betten aus und gehe erstmal duschen. Danach ist das obligatorische Wäschewaschen angesagt. In der kleinen Waschnische steht ein seltsames Gerät, das ich in Deutschland noch nie gesehen habe: eine Wäscheschleuder. Ich öffne den Deckel der etwa kniehohen Blechtonne und schaue hinein. Das Gerät funktioniert wie eine Salatschleuder. Ich stecke die nasse Wäsche in die Trommel, schließe den Deckel und verriegele ihn. Das Gerät beginnt zu rumpeln und zu wackeln – und unten läuft das Wasser in einem Rinnsal in eine Schüssel. Nach einer Minute schalte ich die Schleuder aus und schaue nach meinen Sachen. Die Überraschung ist groß: Die Wäsche ist so gut wie trocken. Trotzdem hänge ich sie noch auf die Leine.

Aus dem Getränkeautomaten hole ich mir ein San Miguel. Ein junger Deutscher tut es mir nach, wir stoßen an und kommen ins Gespräch. Gregor jammert: „Mir tun so die Füße weh!“ Seine Schuhe seien zu klein. „Das verstehe ich einfach nicht: auf dem Camino Frances vergangenes Jahr haben sie noch gepasst.“ Den Grund dafür liefert er aber einige Sätze später selbst: Er habe in den letzten Monaten etwas zugelegt: „Ich trage zwei Rucksäcke: einen hinten und einen vorne“, meint Gregor und fasst sich grinsend an die Plautze.

Ich will nun an den Strand, auch wenn der nicht gerade um die Ecke liegt – ich muss durch ganz Orio durch. Ich mache mich auf den Weg und komme immer bergab bald an einem Friedhof vorbei. Die Spanier haben eine eigentümliche Bestattungskultur: Erdgräber wie bei uns gibt es hier nicht, stattdessen reihen sich auf dem Gottesacker stattliche Steinquader aneinander. Vorne gibt es eine Metall-Luke, durch die der Sarg gescho- ben werden kann.

Kurz darauf bin ich in der Altstadt von Orio angekommen. Ich kann mich kaum sattsehen an den prachtvollen Häusern, die teilweise noch aus dem Mittelalter stammen. Der Weg führt mich durch die Einkaufsmeile der Stadt und dann weiter in Richtung Meer. Ich komme am Hafen vorbei, der in einer felsengesäumten Bucht liegt. Eigentlich idyllisch, wäre da nicht die Autobahn, deren gigantische Brücke das Tal überspannt und den Ort vom Meer quasi abtrennt. Ich frage mich, warum die Autobahn, über die im Sekundentakt Autos und Lastwagen rauschen, nicht weiter im Landesinneren gebaut worden ist.

Ich unterquere die Autobahn und erreiche den Strand. Es ist nicht viel los. Kein Wunder, die Saison hat ja auch noch nicht begonnen. Lediglich ein paar Surfer in Neopren-Anzügen tummeln sich mit ihren Brettern im Wasser und warten auf die perfekte Welle. Ich finde ein Plätzchen, an dem ich mich an einem der Felsen anlehnen, die Füße in den Sand strecken und aufs Meer hinaussehen kann. Offenbar bin ich nicht der einzige, dem die Stelle gefällt – im Sand liegen ziemlich viele Zigarettenkippen.

Ich schreibe ein wenig in mein Tagebuch, behalte dabei aber immer die Uhr im Auge, schließlich muss ich den ganzen Weg wieder zurücklaufen – einen Teil davon kräftig bergauf. Und das Abendessen will ich auf keinen Fall verpassen.

Bald mache ich mich auf den Rückweg. Ich passiere den Jachthafen, in dem zahlreiche Boote vor Anker liegen. Die ganze Anlage macht einen prachtvollen Eindruck und sieht sehr neu aus. Wurde der Hafen als Belohnung dafür gebaut, dass die Anwohner nicht gegen den Autobahnbau protestiert haben? Ich wähle einen anderen Weg wie vorhin und merke gerade noch rechtzeitig, dass ich dort nicht bis nach Orio gelangen werde. Also zurück. Ich gehe an einem Spielplatz und ein paar Schrebergärten vorbei und komme wieder auf die Hauptstraße.

Schneller als gedacht bin ich wieder an der Herberge angekommen. Ich treffe einige andere Pilger, darunter zwei weitere Deutsche. Sibylle kommt aus Leipzig, und – die Welt ist schon wieder klein – Elke aus der Nordpfalz, nicht weit von meinem Wohnort entfernt. Bald darauf ruft Rosa zum Essen. In dem Gartenhaus ist eine Tafel hübsch gedeckt. Die Wände sind mit zahlreichen Landkarten, Fotos und Andenken vom Camino dekoriert.
Am Tisch sitzen auch noch ein Ire mit seiner Tochter und ein Pärchen aus Tschechien. Den beiden Iren gehören die Fahrräder, die ich beim Ankommen gesehen habe. Als der erste Gang, eine schmackhafte Gemüsesuppe, aufgetragen wird, versuche ich mit dem tschechischen Pärchen ins Gespräch zu kommen – was gar nicht so einfach ist, denn die beiden sind eher wortkarge Gesellen. Woher sie denn kommen, frage ich. „Wir haben kein Zuhause“, antwortet sie – und schaut in mein überraschtes Gesicht. Sie hätten zuletzt in Manchester gelebt, erfahre ich, sich dort aber nicht wohlgefühlt. „Es hat dauernd geregnet“, erklärt die junge Tschechin. Daraufhin hätten sie die Zelte in England abgebrochen und sich entschieden, den Camino del Norte zu laufen – „um herauszufinden, was wir jetzt mit unserem Leben anfangen sollen“.

Nach der Gemüsesuppe gibt es panierten Fisch und Salat, dazu natürlich Vino tinto. Später sitze ich mit Gregor, Sibylle und den beiden Iren vor dem Gartenhaus und klöne. Zeitweise gesellt sich ein junger Amerikaner dazu: Kyle kommt eigentlich aus Texas, wohnt aber in Florida – schlappe 1500 Kilometer von seinem Elternhaus entfernt. Die Konversation läuft auf Englisch, damit keiner außen vor bleibt.

„Ich bin Vermieter“, antwortet Gregor auf meine Frage nach seiner Profession. Ebenso wortreich wie amüsant erzählt er, wie er dazu kam, von der Vermietung zweier Wohnungen in einer Stadt in Süddeutschland zu leben. Später berichtet er davon, dass er beim Gang über den Jaizkibel den Pilger mit Kölner Dialekt begleitet hat, den ich erst wenige Stunden zuvor im Wald getroffen habe. Je später der Abend, desto mehr lachen wir. Gregors Englisch mag nicht das beste sein, aber er trifft trotzdem den Nagel auf den Kopf: „You must have alive this.“

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte

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Hi, ich bin descalces. Seit 20 Jahren weitgehend barfuß unterwegs - so oft es geht, auch auf dem Jakobsweg...

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