Warum auf den Jakobsweg?

Dann geh doch auch!“ Lange noch hallt der Satz meines Schatzes in meinem Kopf nach. Gerade habe ich wieder einmal bewundert, wie gelassen sie geworden ist, seitdem sie von ihrem Camino, dem Camino Portugues, zurückgekehrt ist, wie sehr sie über den Dingen steht, wie gut sie auf die Widrigkeiten des Lebens reagiert.

Ich dagegen – ich fühle mich wie ein vom Wind geknickter Halm, gebeugt von Sorgen um Familie, Job und Finanzen. Wie sehr sehne ich mich nach Frieden im Herzen, finde ihn auch immer wieder im Glauben, doch er ist nicht von Dauer, wird immer wieder zerrieben vom Alltag.

Soll ich also auch auf den Jakobsweg gehen? Es meinem Schatz gleichtun, mich einige Wochen ausklinken aus dem gewohnten Leben? Wird meine Familie ohne mich zurechtkom- men? Werde ich es schaffen, das Geld für den Camino zusammenzubekommen, ohne das Familienbudget zu belasten? Was wird mir so ein Camino geben? Werde ich genauso gelassen und erfüllt zurückkehren wie mein Schatz? Fragen über Fragen…

Monatelang gehe ich mit dem Gedanken schwanger. Auf dem Camino Portugues hat mein Schatz drei Pilger kennengelernt, die nur 70 Kilometer von uns entfernt wohnen. Drei Seelen von Menschen, mit denen wir uns seitdem einige Male getroffen haben. Eine feine Freundschaft verbindet uns, eine Freundschaft, die durch den Jakobsweg entstanden ist, durch ihn befeuert wird und von ihm durchdrungen ist. Zwei der drei Pilger haben auf dem Weg gefilmt; ein wahrhaft monumentales Werk von drei Stunden Dauer ist daraus entstanden, der bei einem unserer Pilgertreffen seine Welturaufführung erlebt.

Der Film ermöglicht mir, was die Erzählungen meines Schatzes nur bedingt leisten konnten: Ich bekomme einen Gesamteindruck der Erlebnisse, verstehe zum ersten Mal, was es bedeutet, auf dem Jakobsweg zu sein. Wochenlang unterwegs mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken, der aber auf wundersame Weise jeden Tag leichter wird, Begegnungen mit interessanten Menschen, die ebenfalls auf dem Camino unterwegs sind.

Die Reduzierung des Lebens auf existenzielle Dinge: Essen, Schlafen, Laufen. Mit wenigen Kleidungsstücken zurechtkommen, vielleicht sogar entdecken, wie viel Ballast man tagtäglich mit sich herumschleppt – unnötigerweise. Zeit für Gott, Zeit zum Beten, Zeit zum Lachen, Zeit zum Nachdenken, auch Zeit zum Traurigsein. Einige Wochen ohne Termindruck, ohne das tägliche „Du musst“, ohne Verpflichtungen. Ein verlockender Gedanke, der in mir den Wunsch immer größer werden lässt: Ich will auch den Camino laufen.

Doch welchen Camino? Denselben wie mein Schatz? Oder doch den klassischen Weg, den Kerkeling-Weg, den Camino Frances? Einer der Pilgerfreunde bringt mich auf den Trichter: Wenn ich das Meer so liebe, dann ist der Camino del Norte das Richtige für mich. Schnell werden ein paar Bilder gezeigt – die Pilgerfreunde waren vor einigen Jahren selbst an der spanischen Nordküste unterwegs. Ich sehe die Küste, die Buchten, das Wasser – und ich bin Feuer und Flamme. Der Camino del Norte soll es werden!!!

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist jetzt als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte