Packliste

Acht. Das ist die magische Zahl. Acht Kilo – mehr sollte ein Pilger auf dem Jakobsweg nicht mit sich herumschleppen, wenn er sich nicht nach ein paar Wochen die Knie und den Rücken ruinieren will. Zehn Prozent des Körpergewichts lautet die Faustregel, wenn es um das Gewicht des gepackten Rucksacks geht. Acht Kilo – davor habe ich einen riesigen Respekt. Mir war manchmal bei Wanderungen schon der Tagesrucksack zu unbequem. Am liebsten habe ich gar nichts auf dem Rücken, wenn ich eine Wanderung mache.

Auf dem Weg zur Arbeit allerdings habe ich immer einen Rucksack auf. Ich stelle mich mit und ohne den Rucksack auf die Badezimmerwaage. Fünf Kilo habe ich also täglich auf dem Rücken; vielleicht sind drei Kilo mehr doch nicht so schlimm, denke ich.

Wieder leistet mir das Internet gute Dienste. Im Pilgerforum lese ich mir Packlisten durch und durchforste die Diskussionen um Nützliches und Überflüssiges im Pilgergepäck. Eine Freundin leiht mir das Buch „Jakobsweg im Smoking“. Der Titel des Buches ist irreführend, schließlich läuft niemand in Abendgarderobe auf dem Camino. Der Inhalt ist dagegen richtig interessant: Ich bin live dabei, als der Autor seine Utensilien für den Jakobsweg zusammenkauft. Ich lese zum ersten Mal von der „Ultralight“-Fraktion, von Leuten, die sogar noch die Zahn- bürste absägen, um Gewicht zu sparen.

Von Ultralight bin ich dagegen weit entfernt, schon allein wegen des Rucksacks und des Schlafsacks. Der Rucksack ist kein 200-Euro-Hightech-Gerät aus dem Outdoorladen, sondern ein 15-Euro-Teil aus dem Imperium der Albrecht-Brüder. Praktisch zwar, gut aufgeteilt, mit einigen durchdachten Details, aber eben schwer. Und der Schlafsack – ein ebenfalls günstiges Exemplar, nicht so klobig wie die 10-Euro-Pennbeutel vom Discounter, aber durchaus mit einem gewissen Packmaß und ebenfalls nicht gerade ein Leichtgewicht.

„Das könnte ich doch auch noch brauchen“, denken viele Pilger und packen viel zu viel ein, wie ich bei meinen Recherchen im Internet erfahre. Nicht selten schleppen manche Zeitgenossen weit mehr als zehn Kilo über den Camino. Dabei gilt: weniger ist mehr. Nirgendwo trifft dieser Slogan besser zu als beim Packen für den Jakobsweg. Getrieben von diesen Erkenntnissen beginne ich meine eigene Packliste, überlege, was ich während drei Wochen in Nordspanien alles brauchen werde, schreibe alles auf – und teile die Utensilien gleich auf in „im Rucksack“, „am Körper“ und „in der Bauchtasche“.

Bei den Klamotten ist die Sachlage eigentlich überschaubar: Ich bin outdoormäßig ganz gut ausgerüstet, weil ich privat am liebsten Funktionskleidung trage. Und schnell wird mir klar: mehr als zwei Hemden, Hosen oder T-Shirts brauche ich nicht mitzunehmen. Eine Garnitur habe ich an, eine ist im Rucksack.

Die Schuhfrage ist ebenfalls keine: Da ich seit 20 Jahren privat fast ausschließlich barfuß laufe (nur in der Kirche und bei der Arbeit habe ich Schuhe an), will ich auf dem Camino so oft wie möglich barfuß sein. Mir ist klar, dass die Fußsohlen das über Wochen nicht mitmachen, deshalb will ich den Jakobsweg in Five-Fingers laufen. Als zweites Paar Schuhe habe ich Flip-Flops im Gepäck (ich finde die Earthkeepers von Timberland prima, auch wenn sie nicht gerade Leichtgewichte sind).

Schwieriger sind da andere Fragen zu beantworten. Etwa: nehme ich einen Fotoapparat mit oder reicht mir das iPhone? Was brauche ich an Sanitärartikeln? Wie halte ich es mit dem Rasieren? Obwohl das iPhone mittlerweile so gute Bilder macht, dass es mit einem Fotoapparat locker mithalten kann, entscheide ich mich dafür, zweigleisig zu fahren – sprich: auch noch die Canon Powershot meiner Tochter mitzunehmen. Schließlich könnte eines der Geräte kaputtgehen – und dann könnte ich keine Bilder mehr machen, was für mich eine ziemliche Katastrophe wäre.

Wie halte ich es mit Waschmittel, Shampoo und Duschgel? Mein Schatz hatte vergangenes Jahr so ein All-in-one-Zeug dabei. Ich tigere in den Outdoor-Laden, aber: das Mittel ist nicht mehr verfügbar. Also muss wieder das Internet herhalten: Meine Wahl fällt auf das Eco-4-Wash von Vaude, das es bei Online-Händlern für moderate 4 Euro pro Flasche gibt. Damit kann man sogar mit kaltem Wasser Wäschewaschen, dazu taugt es zum Duschen und für die Haare.

Brauche ich Trekkingstöcke? Eigentlich scheidet das für mich aus, weil ich erstens nicht permanent diese Dinger am Handgelenk haben möchte und zweitens meinen Rucksack als Handgepäck mit in den Flieger nehmen will. Wenn ich dagegen Stöcke mitnehmen möchte, muss ich den Rucksack aufgeben, was für mich nicht in Frage kommt.

Welche Kopfbedeckung nehme ich mit? Eine schwierige Fra- ge: Mit einer Schirmmütze fühle ich mich nicht wohl, mit so einem Outdoor-Schlapphut auch nicht wirklich. Ein Panama-Hut ist dagegen etwas Feines – leicht und luftig. Für den Jakobsweg aber wohl eher unpraktisch, weil man ihn nicht so einfach verstauen kann, wenn man ihn nicht braucht. Ein Beanie ist gemütlich, aber für den Frühsommer in Spanien vermutlich viel zu warm. Was tun? Wieder muss das Internet aushelfen: Nach einigen Stunden der Recherche finde ich ein Bufftuch, das einen Schirm angenäht hat. Visor Buff heißt das Teil, passenderweise gibt es das sogar im Camino-Look – mit Landkarte und Sellos. Ich bestelle ein Exemplar und teste es bei einer Familienklettertour im Odenwald. Resultat: tauglich.

Eines schönen Samstags ist es soweit: Ich hole die Küchenwaage und den Laptop und fange an, jedes Teil zu wiegen, das ich mitnehmen will. Das Gewicht trage ich in eine Tabelle ein. Ich bin gespannt, bei welchem Gesamtgewicht ich landen werde. Gleich zu Beginn bekomme ich einen gehörigen Schrecken. Dass der Rucksack schwer ist, war mir klar, aber dass das Aldi-Teil satte 1,4 Kilo auf die Waage bringt – damit hätte ich nicht gerechnet. Der Schlafsack beschert mir das zweite Schockerlebnis: 1,1 Kilo zeigt die Waage an. Mit diesen beiden Utensilien hätte ich mein Gewichtsbudget schon zu einem knapp Viertel ausgereizt…

Dennoch kommt es für mich nicht in Frage, mir etwas Leichteres zu besorgen: Schließlich ist mein Schatz mit den Sachen vergangenes Jahr bis nach Santiago gelaufen – dann werde ich das auch schaffen. Zudem scheue ich die Investition von mehreren hundert Euro in Utensilien, die tatsächlich eine deutliche Gewichtsersparnis bringen. Stattdessen beschließe ich, bei den übrigen Dingen eben noch ein wenig mehr abzuspecken, um unter den magischen acht Kilo zu bleiben.

Ein Teil nach dem anderen wandert auf die Küchenwaage, die Tabelle im Laptop füllt sich immer weiter. Schließlich sind alle Sachen gewogen. Jetzt geht es ans Zusammenrechnen – und die Spannung steigt. Zu meiner großen Überraschung hält sich das Ergebnis im Rahmen, obwohl die Liste nicht gerade kurz ist: Knapp 6,5 Kilo Rucksackgewicht steht unter dem Strich. Das ist prima, finde ich, schließlich kommen ja noch Wasser und Verpflegung dazu.

Ich stelle die Liste mitsamt den Gewichtsangaben ins Pilgerforum ein und bitte um Feedback. Das lässt nicht lange auf sich warten – erfahrene Pilger zerpflücken die Liste und bringen mich gehörig ins Nachdenken. Brauche ich wirklich…? Gestrichen werden aus der Liste das Wäschenetz (überflüssig), der Nagelknipser (kann ich in Spanien kaufen, wenn die Nägel zu lang werden sollten) und das Deo (Waschkonzentrat muss rei- chen, wieder 100 Gramm weniger).

Schließlich, nach einigen Korrekturen, steht die Liste. Folgende Dinge will ich mitnehmen:

Am Mann:

Outdoor-Hose lang (367 Gramm) Funktions-T-Shirt (242) Funktionshemd kurz (186) Funktionsunterhose kurz (46)
Visor Buff (53)
Five-Fingers (397)
zusammen: 1291 Gramm Bauchtasche (227 Gramm)
iPhone (137)
EC-Karte (5)
Kreditkarte (5)
ADAC-Karte (Auslandsreise-KV) (5) Gesundheitskarte (5)
Personalausweis (5)
Flugtickets (10) Outdoor-Pilgerführer Joos (292) Sonnenbrille (84)
Fotoapparat (198)
Reiseapotheke (Paracetamol, Antihistaminikum, Pflaster, Tape) (50)
zusammen: 1023 Gramm
Am Mann gesamt: 2314 Gramm

Auf dem Rücken:

Rucksack (1415 Gramm)
Regenponcho (443)
Schlafsack (1017)
Flip-Flops (466)
Outdoor-Hose 3/4 (221)
Outdoor-Hose kurz (264)
Fleece-Leggins (Schlafhose) (219)
Funktions-T-Shirt (242)
Funktionshemd kurz (186)
Funktionsunterhose kurz (46)
Fleece-Pulli (299)
Windbreakerjacke dünn (356)
gesamt: 5174 Gramm
Mikrofaserhandtuch (170)
Ziplock (30)
Zahnbürste (20)
Zahnpasta (50)
All-in-one-Seife/Shampoo-Konzentrat (100)
Fußcreme (150)
Sonnenschutzcreme (100)
Sitzunterlage (35)
Göffel (5)
Wäscheleine 2m (15)
Klammern (25)
Brille (161)
Foto Ladekabel (50)
Speicherkarten (20)
iPhone Ladekabel (46)
Headset (18)
Stirnlampe (86)
Ohropax (30)
Karabiner (24)
Credential (20)
Pilgermuschel (50)
gesamt: 1205 Gramm
Auf dem Rücken gesamt: 6379 Gramm

Skeptisch bin ich noch in Sachen Outdoor-Hängematte: Mein Schatz hat sie im vergangenen Jahr auf dem Camino Portugues oft gebraucht, allerdings sind 700 Gramm Gewicht schon eine Hausnummer. Ich bringe es nicht übers Herz, die Hängematte zu Hause zu lassen, obwohl mein Bauch mir sagt, dass ich sie auf dem Camino del Norte wohl nur wenig brauchen kann – so viele Bäume gibt es an der Küste nicht.

Schließlich steht der Rucksack fertig gepackt da, und es geht auf eine erste Probetour. Komisch fühlt sich das an, dieser Utensilien-Turm auf meinem Rücken. Bei jedem Schritt wackelt der Rucksack ein wenig hin und her, ich komme mir vor wie ein Seemann, der einen über den Durst getrunken hat. Doch das Gefühl lässt schnell nach, und als ich ein paar Kilometer gelaufen bin, stelle ich fest: So schlimm ist das mit dem Rucksack gar nicht. Der Camino kann kommen!

Der Bericht über meinen Camino del Norte ist auch als Taschenbuch und eBook verfügbar: „Der Weg gibt Dir, was Du brauchst!“ – 400 Kilometer zu Fuß auf dem Camino del Norte